- BürgerZeitung für Mönchengladbach und Umland 1.0 - http://www.bz-mg.de -

„Angst vor Chlorhühnchen oder vor Demokratieverlust?“ • Sven Giegold (GRÜNE) beim Katholischen Forum zu TTIP • Teil I [mit Audio]

[1]Am 25.02.2015 referierte Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen, MEP) im Haus der Regionen vor rd. 120 Interessierten auf Einladung des Katholischen Forums und einer größeren Veranstaltergemeinschaft zum Thema „TTIP konkret für Mönchengladbach & Umland“.

Die so genannten „Chlorhühnchen“ sind zum Synonym für TTIP geworden. Durch diese war das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU plötzlich in nahezu fast aller Munde.

Auch wenn die armen Hühner nur eine kleine Nebenrolle spielen, funktioniert der vermeintliche Ekelfaktor, was das Essen anbelangt, immer prächtig.

Bei Giegolds Vortrag – hier auf BZMG in mehreren Teilen nachvollziehbar – ging es nicht um Chlorhühnchen, sondern um gewichtigere Fakten und Informationen, die vielen gar nicht bekannt oder bewusst sind.

Zuvor erläuterte Moderator Franz-Josef Unland, warum auf freiwilliger Basis um einen Kostenbeitrag erbeten wurde.

Unland führte aus, dass Informationen und Dienstleistungen ihren Wert haben. Andererseits darf niemand davon ausgeschlossen werden. Deshalb wäre es sinnvoll keinen Beitrag zu verlangen.

Aber, so Unland, ein Überschuss aus den Beiträgen kommt Bildungsangeboten für Arbeitslose in Kooperation mit Amos in Viersen [2] oder dem Volksverein Mönchengladbach [3] zugute oder es wird Alleinerziehenden die Teilnahme an Eltern-Kind-Gruppen ermöglicht.

[4]Zum Thema der Veranstaltung erläuterte Unland, dass die Veranstaltergemeinschaft Fragen ob der reinen Logik des Marktes hat, denn viele politische Entscheidungen sind alternativlos, wenn innerhalb der Marktwirtschaft nur in Wachstum und Gewinnmaximierung gedacht wird.

Dem wollen die Veranstalter andere Maßstäbe entgegen setzen, nämlich:

Vor diesem Hintergrund erläuterte er folgende Veranstaltungsziele:

Die Veranstalter wollen über TTIP aus einem, der reinen Marktlogik anfragenden Verständnis heraus berichten und informieren, insbesondere mit Blick auf das Konkrete für den Einzelnen und die Konsequenzen in der Kommune.

Ein zweites Ziel der Veranstaltung: zur Meinungsbildung in Bezug auf diese Verträge beitragen zu wollen.

Als Drittes wünsche man sich natürlich nach Meinungsbildung vielleicht ein politisches Engagement.

[5]Nach der Begrüßung ging Giegold kurz auf die Einführung Unlands ein:

„Liebe Bürgerinnen und Bürger und da wir in einem kirchlichen Rahmen sind, auch liebe Schwestern und Brüder, da Sie Herr Unland, drei Vorbemerkungen gemacht haben, will ich mich mit ebensolchen Vorbemerkungen revanchieren.“

So ging Giegold noch kurz darauf ein, dass es im Vorfeld der Veranstaltung eine Diskussion über die Möglichkeit der Manipulation gegeben hatte und erklärte dazu:

„Zur Frage der Manipulation. Es ist noch nicht lange her, dass es in katholischen Häusern fast unmöglich war, überhaupt eingeladen zu werden, wenn man nicht in der CDU war. Eines kann ich ihnen versprechen: Manipulieren werde ich sie nicht, denn Manipulation ist definiert als Beeinflussung, ohne dass man es merkt. Ich werde versuchen sie zu beeinflussen, aber sie werden es merken.“

Damit hatte Giegold die Lacher auf seiner Seite, bevor er mit seinem Vortrag begann:

[audio:15-02-25-referat-giegold-001.mp3][ca. 11 Min]

Anmerkung: Die teilweise störenden Nebengeräusche sind auf die suboptimalen akustischen Verhältnisse im Raum zurückzuführen; wir bitten dafür um Nachsicht.

„Zunächst möchte ich als erstes kurz erklären, wie wir zu diesem TTIP-Projekt eigentlich gekommen sind und zu den anderen bilateralen Freihandelsverträgen, die derzeit zwischen der Europäischen Union und verschiedenen Partnerländern verhandelt werden.

Dann, zweitens, was soll in TTIP drin stehen, um was geht es da eigentlich, um drittens ein paar Hinweise zu geben, wie der Entscheidungsprozess jetzt ist, und wie sich die Bürgerinnen und Bürger und Organisationen einmischen können.“

Wie sind wir dazu gekommen?

Diese Frage wird erstaunlicherweise ganz selten gestellt.

Eigentlich war Deutschland immer der entschiedenste Befürworter multilateraler Handelsverträge. Was heißt das?

Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch weltweit die Zölle und Schranken zwischen den Nationen im Handel und auch bei den Investitionen gekappt. Das war, bei allem Aber, das man dazu auch sagen muss, insgesamt eine Erfolgsgeschichte.

Menschen, die vorher Krieg miteinander geführt haben, fingen an Handel miteinander zu treiben, und es gab mehr Arbeitsteilung auf der Welt. Diese Arbeitsteilung hat insgesamt ökologisch und ökonomisch viel Sinn.

Gerade in Deutschland hängen sehr viele Arbeitsplätze am Export, und umgekehrt sind in Deutschland sehr viele Firmen in Wirklichkeit keine deutschen Firmen, sondern Töchter von Unternehmen aus anderen Teilen der Welt.

Alles begann mit dem allgemeinen Abkommen über Zölle und Handel, GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der EU von 1962/63 bis 2007), und führte über mehrere andere Abkommen zu der Gründung der WHO (Welthandelsorganisation) in den 1990er Jahren.

Das hat insgesamt etwas, wovon man sagen muss, da gibt es auch viele Aber.

Auch Abers mit denen sich gerade Kirchen auseinandergesetzt haben. Denken sie an die Kleidung, die wir tragen, die weitgehend zollfrei nach Deutschland kommt, die aber unter menschenrechtlich unerträglichen Bedingungen hergestellt wird. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Das heißt nicht, alles was Handel ist, ist gut; aber insgesamt ist, dass Menschen miteinander Handel treiben und arbeitsteilig Wirtschaft organisieren, grundsätzlich eine gute Entwicklung.

Allerdings wäre es aus vielen Gründen, und da stimmen liberale Ökonomen mit eher regulationsorientierten Ökonomen überein, eigentlich am besten, wenn man eine weltweite Handelsordnung aufbaut, weil diese nämlich vermeidet, dass man erst mal ein Stückwerk von ganz verschiedenen Abkommen erhält, bei denen unterschiedliche Partner in unterschiedlicher Stärke miteinander verhandeln.

Konkret ist es so, dass derzeit die EU etwa 20 Freihandelsverträge in der Verhandlung hat. Da können sie sich vorstellen, wenn die EU mit den USA verhandeln, dann ist das halbwegs auf Augenhöhe. Wenn aber die EU mit Westafrika verhandelt ist das eben nicht auf Augenhöhe.

Dann ist es so, dass die EU sehr stark ihre Bedingungen diktieren kann. Amerika hat ebenso ein Programm solcher Handelsverträge.

Das ist der Grund, warum sich die kirchlichen Hilfswerke, genau wie auch andere Entwicklungsorganisationen, äußerst kritisch gegenüber diesen sogenannten bilateralen Handelsverträgen aufstellen.

Man fragt sich in der Tat, warum machen wir eigentlich nicht weiter mit den bewährten Verträgen der WHO und der Regelung der Fragen in globalen Abkommen? Der Grund ist der, dass schon seit über 10 Jahren die WHO nichts mehr „auf die Reihe“ bekommt. Es gab keinen Fortschritt.

Die Themen, die jetzt in TTIP verhandelt werden, stehen auch auf der Agenda der WHO, wo es aber nicht voran ging.

Warum gab es keinen Fortschritt?

Es gab keinen, weil die großen Schwellenländer und viele Entwicklungsländer erklärten, dass sie grundsätzlich für weitere Öffnungen im Handel sind, aber mit der bisherigen Handelsform etwas nicht in Ordnung ist.

Was war nicht in Ordnung?

Weil man auf einen zentralen Teilnehmer fokussiert ist. Es gibt noch mehr Punkte, aber eine Frage war zentral, woran dort (WHO) bisher alles scheitert.

Die westlichen Industrieländer und zunehmend auch einige der großen Schwellenländer wollen Regeln für Investitionen. Wir wiederum wollen neue Regeln für die Öffnung der Märkte usw.

Die Entwicklungsländer erklärten, wir sind offen, solche Regeln zu verhandeln, aber wir wollen, dass bei den Abkommen, die wir schon verhandelt haben, korrigiert wird. Der Punkt, um den es vor allem geht ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen.

Wer die bisherige Welthandelsordnung kennt, der weiß, dass dort im Grunde die Märkte zwar weitgehend geöffnet wurden, aber die westlichen Industrieländer mit Abermilliarden eine Landwirtschaft subventionieren, die auf Massentierhaltung, auf Vergiftung unserer Schöpfung basiert und die so erzeugten Produkte werden zu Dumpingkonditionen auf die Märkte der Entwicklungsländer geliefert.

Symbolisch dafür sind, sie kennen das vielleicht, die Hühnchen. Bei uns werden von diesen die Brüste gegessen und die so genannten Abfälle, Teile, die früher selbstverständlich hier auch gegessen wurden, werden dann für einen Appel und ein Ei nach Afrika und in andere ärmere Länder exportiert.

Der eigentliche Grund, warum wir jetzt nicht weiterkommen, ist, dass sich sowohl die USA, die EU und Japan weigern, diese Subventionierung einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft in den reichen Ländern zu beenden.

Deshalb ist unsere Position sehr stark. Wir sind grundsätzlich offen für weitere Handelsverträge auf globaler Ebene.

Wir sehen aber nicht ein, nur weil wir nicht bereit sind, unseren eigenen Egoismus bei der Gestaltung unserer Landwirtschaft aus Massentierhaltung und Massenproduktion zurückzustellen und nicht weiterhin mit Steuergeldern zu subventionieren, dass wir deshalb auf lauter bilaterale Handelsverträge schwenken sollen, statt das weiter zu machen, was viel fairer ist: nämlich mit den Entwicklungsländern auf Augenhöhe innerhalb der WHO ein global faireres Handelssystem auf die Reihe zu bekommen.

Deshalb sind wir da auf einer Linie z.B. mit kirchlichen Hilfswerken, die klar sagen, wir wollen eine faire Handelsordnung, unter Einschluss der ärmsten Länder und unter Aufgabe von falschen Subventionen, gerade im Bereich der Landwirtschaft, die sowohl den Menschen hier schaden, die den Tieren schaden und die den ärmsten auf der Welt schaden.

Deshalb müssen wir uns als Bürgerinnen und Bürger dafür einsetzen, dass freier Handel nur ein solcher Handel ist, der auch fairer Handel ist, statt lauter Sonderverträge zu schreiben und der Welt zu schaden.

Es ist auch ökonomisch ineffizient, tausende von Einzelverträgen zu haben. Darauf läuft es nämlich hinaus. Viele Investitionsschutzabkommen, sondern Freihandelsverträge. Alle Länder verhandeln derzeit kreuz und quer miteinander und das ist auch nicht sehr demokratisch, weil kein Mensch mehr den Überblick behalten kann.

Das Ganze hat aber bisher keinen interessiert, muss man ehrlich sagen. Es gab keinen großen Aufschrei als z.B. die EU ein sehr einseitiges Abkommen mit Peru und Kolumbien ausgehandelt hat, das erste Freihandelsabkommen, das wir abgeschlossen haben.

Die Menschen in Peru und Kolumbien, ich hatte viele von ihnen in meinem Büro, haben sich sehr beklagt, weil sie der Meinung sind, dass dies zu weiteren Projekten führt, die ihnen die Lebensgrundlagen nehmen. Das hat hier bei uns keinen interessiert.

Bei TTIP hat sich das dann geändert, weil alles, was wir mit den Amerikanern verhandeln, verhandeln wir mit unserem größten Handelspartner außerhalb der EU.

Was hier mit Peru und Kolumbien verhandelt wird, bedeutet einen großen Unterschied für die Menschen und die Wirtschaft dieser Länder. Es ändert aber für uns hier wenig.

Bei den USA war das anders. Jeder wusste, dass unser größter Handelspartner, wenn wir mit unseren Freunden in Amerika etwas verhandeln, dann ist das Ergebnis durchgreifend auch auf unseren Markt, weil dahinter eine ganz andere Wirtschaftskraft steckt.

Deshalb bin ich froh, dass es jetzt, durch die Verhandlungen mit TTIP, endlich Aufmerksamkeit für die Handelspolitik als Ganzes gibt. ….“

Wird fortgesetzt