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Der lange und mühselige Weg zum richtigen Hörgerät

[1]Ich bin Pflegedienst­leiter einer Sozial­station und Vorsitzender des Vereins der Hörgeschädigten e.V. in Mönchengladbach. Als hochgradig Hörgeschädigter bin ich auf Hörgeräte angewiesen und kann ohne diese Hilfe meinen Beruf nicht ausüben. Ebenso wäre mir eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht möglich.

Wie es im Leben so ist, gab ein Hörgerät von heut auf morgen „den Geist auf“.

2010 stellte ich einen Antrag bei der BEK zur Kostenübernahme der Reparatur meiner damals 5 Jahre alten Hörgeräte. Der Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass sich eine Reparatur nicht lohnt und ich Anspruch auf neue Geräte hätte.

Da ich aus Erfahrung weiß, dass die Anpassung neuer Geräte dauert – und ebenso die Beantragung, ließ ich auf eigene Kosten für 400 € diese Geräte reparieren.

In den nächsten Monaten testete ich verschiedene Hörgeräte, günstige Geräte ebenso wie Geräte über den Festbetrag hinaus. Resultat waren Hörgeräte bei denen ich 3.760 € hätte zubezahlen müssen. Die Krankenkasse gab lediglich 570 € dazu. Für beide Hörgeräte!

Nun ist es selbst für jeden Normalhörenden einleuchtend, das ich mit Geräten für 570 €  den Anforderungen in meinem Beruf kaum nachgehen kann.

Meine Arbeit als Pflegedienstleiter beinhaltet viele Gespräche und Telefonate. Ich leite Teamsitzungen und nehme an auswärtigen Fortbildungen teil.

Falls ich etwas falsch verstehe kann es fatale Folgen haben. Die Entschuldigung bzw. Ausrede: „Sorry, aber ich habe nur die günstigen Hörgeräte!“ zählt in der Arbeitswelt nicht.

Ich möchte auch nicht einfach hinnehmen, dass ich gesellschaftlich ausgegrenzt werde.

Im Kirchenvorstand, im Chor „Just for fun“ und in der ehrenamtlichen Vereinsarbeit möchte ich weiter aktiv bleiben können. Das funktioniert nur mit einer guten Hörgeräteversorgung.

In den Medien und in der Politik wird das Thema Inklusion großgeschrieben – zumindest auf dem Papier. In der sinnvollen praktischen Umsetzung fehlt es jedoch sehr.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 17.12.2009 unter dem Aktenzeichen B 3 KR 20/08 R ein Urteil gesprochen, mit dem einem Versicherten ein Anspruch auf ein digitales Hörgerät bestätigt wurde.

Hier stellt das BSG fest, dass eine Begrenzung auf den Festbetrag seitens der Krankenkasse nicht vorgenommen werden darf, sofern die dann erfolgende Leistung nicht die notwendige Versorgung eines Versicherten abdeckt.

Das bedeutet, dass eine Begrenzung des Leistungsbetrags auf einen festgelegten Festbetrag dann nicht zulässig ist, wenn das Festbetrags-Hilfsmittel die vorliegende Behinderung objektiv nicht ausgleichen kann.

Die notwendige Versorgung muss anhand der Versorgungsanforderungen der jeweiligen betroffenen Gruppe von Versicherten bewertet werden.

Etwa 125.000 Menschen klagen über einen nahezu 100-prozentigen Hörverlust, die nach der Überzeugung des Bundessozialgerichts mit den Festbetrags-Hörgeräten nicht ausreichend versorgt werden können.

In meinem Fall dauerte es 26 Monate, bis meine Hörgeräte von der Krankenkasse komplett bezahlt wurden.

Mit Hilfe der Rechtsabteilung des Sozialverbandes VdK wurde vor dem Sozialgericht Klage erhoben.

Nach 1½  Jahren stand am Ende kein Urteil sondern einem Vergleich.

Ich sollte unterschreiben, dass ich mit dem Angebot der Kasse einverstanden wäre.

Hintergründe sind mir nicht bekannt.

Ich vermute mal, dass ein weiteres Gerichtsurteil mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hätte. Ein gerichtlicher Vergleich verschwindet in den Akten.

Resumee:

Ich habe mein Ziel erreicht, jedoch sehr mühselig.

Eigentlich müsste ich jetzt schon neue Hörgeräte ausprobieren und vor Gericht einklagen, damit ich in 4 Jahren weiterhin hör-technisch gut ausgestattet und weiterhin arbeitsfähig bleibe.

Es ist ein Armutszeugnis der heutigen Gesundheitsreform und es kann nicht sein, dass ich seit 31 Jahre ohne Unterbrechung arbeite und noch um ein bisschen gutes Hören betteln muss.

Das ist nicht die Form der gesellschaftlichen Inklusion die dem Jahr 2013 entspricht.

Meine Aufforderung an alle Hörgeräteträger: Zahlen Sie nicht direkt, sondern lassen Sie Ihren Rechtsanspruch auf Kostenübernahme der Hörgeräte umfassend überprüfen.

Verein der Hörgeschädigten e.V.
Vorsitzender: Ernst-Norbert Möller-Heinrich
Blaffert 43
41238 Mönchengladbach
Telefon (01 51) 40 37 78 33
eMail: hoerverein-mg@gmx.de [2]
Internet: http://www.hoerverein.de/ [3]

 

1 Kommentar (Öffnen | Schließen)

1 Kommentar Empfänger "Der lange und mühselige Weg zum richtigen Hörgerät"

#1 Kommentar von medienanalystin am 25. Juli 2013 00000007 16:53 137477120504Thu, 25 Jul 2013 16:53:25 +0000

Ein sehr interessanter Artikel. Inhalt: Traurig aber wahr.

Das sind die Fälle, von denen leider selten etwas an die Öffentlichkeit dringt, und wofür sich auch nur wenige Menschen interessieren – solange sie nicht selbst betroffen sind.

Unser Gesundheitssystem ist ein bürokratisches Monster geworden, bei dem kein Platz für Individualität bleibt und Lobbyismus eine große Rolle spielt.

„1972 waren in Bonn gerade einmal 635 Institutionen registriert, 2005 in Berlin bereits rund 4 500 Lobbyisten. Damit erhalten sie das Recht, als Experten bei öffentlichen Anhörungen am Gesetzgebungsverfahren beteiligt zu werden.“

Nachzulesen:

[4]

Oder etwas zum Lobbyismus im Gesundheitswesen:

[5]

Das Gesundheitswesen muss passgenau, sozusagen „von der Stange“ sein, so dass gerade mal den Mindestanforderungen, die meist nur sehr unflexibel gehandhabt werden (können), genüge getan wird. Konfektion von der Stange eben. Sonderanfertigungen unerwünscht. Massengeschäft eben. Individualität bleibt auf der Strecke und ist unerwünscht.

Patienten/Mitglieder werden dann mit viel Behördendeutsch und Aussagen, was nicht möglich ist, abgespeist und die allermeisten entmutigt. Herr Möller-Heinrich hat das sehr anschaulich beschrieben.

Ähnliches wie in dem Artikel ausgeführt, trifft auch auf Brillen (sogen. Sehhilfen) zu. Viele Menschen könnten ohne Brille gar nichts tun. Nicht nur die mit massiven Sehbehinderungen. Unterstützung bei den enormen Kosten? Null!

Viele Menschen können sich diese teuren aber unentbehrlichen Hilfen noch nicht mal in dem Umfang erlauben, wie in dem Artikel erwähnt.

Maximal € 570 Kostenübernahme für zwei Hörgeräte von der ges. Krankenkasse sind ein ganz, ganz schlechter Scherz.

Unser Gesundheitssystem gehört komplett auf den Prüfstand. Auch das Thema „Solidarität“, bei dem die FDP aufjaulen wird und allein bei Nennung dieses Wortes ganz gelb anläuft.

Für vielen Unsinn steht Geld zur Verfügung. Für viele wirklich unentbehrliche Behandlungen oder wie in diesem Fall Leistungen, gibt es zu wenig oder gar nichts. Gerne wird dann immer mit der „Eigenverantwortung“ argumentiert.

Die kann man aber nur einfordern, wenn sich Menschen wider besseren Wissens so verhalten, dass die vorhersehbaren Folgen teuer werden. Etwas das für das z.B. angeborene oder durch Krankheit entstandene schlechte bis massiv schlechte Hören und Sehen nicht zutrifft.

Diese Menschen und selbstverständlich auch die vielen Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen, trifft es äußerst heftig.

Hilfe ist leider nicht in Sicht, weil von den Politikern, die sich private Krankenversicherungen und/oder teure Zusatzversicherungen zur GKV leisten können, die allermeisten nicht in diesem Umfang betroffen sind bzw. Zusatzkosten finanziell weniger schmerzen.