Haushaltsreden: Ritual vs. Sinnhaftigkeit

Bernhard Wilms [ - Uhr]

schau-reden-fenster-hhEs gibt Bräuche in der Politik, die nichts mit Brauchtum zu tun haben. So ist das auch mit der Verabschiedung des Haushalts. Die Sprecher der einzelnen Fraktionen treten ans Rednerpult und tragen ihre Positionen zum Haushaltentwurf vor.

So auch bei der gestrigen Ratssitzung, die mit mehr als 40 Tagesordnungspunkten gut gefüllt war. Mit etwa 10 Besuchern konnte man das von der Zuschauertribüne nicht gerade nicht behaupten.

Die meisten der Tagesordnungspunkte waren in Fachausschüssen schon ausgiebig diskutiert worden, so dass sie vom Rat „durchgewinkt“ wurden (wie ein mittlerweile stadtbekannter Niederländer gesagt hätte).

Während zum Haushalt 2009 Jahr – zum Leidwesen von Erich Oberem – auf das Vortragen der Stellungnahmen verzichtet und die Reden verteilt wurden, folgte man zum Doppelhaushalt 2010/2011 dem frühren Brauch und so kamen auch die neuen Fraktionssprecher von CDU, Dr. Schlegelmilch, und FWG ,Bernd Püllen, zu ihrer „Jungfrauen-Rede“ vom Rednerpult aus.

Ob es nun dem „guten Brauch“ geschuldet oder aber Kalkül von Oberbürgermeister Bude (SDP) war, dass er Dr. Schlegelmilch mit dem Hinweis, dass die größte Fraktion den Anfang mache, als Ersten an das Rednerpult bat, war nicht so richtig herauszufinden.

In der Vergangenheit war das unbestritten so, war doch damals die CDU nicht nur die stärkste Fraktion im Rat, sondern auch Mehrheitsführerin und damit an vorderster Stelle den Haushalt verantwortlich.

Dass Dr. Schlegelmilch mit seiner mehr als 30-minütigen Rede „vorlegte“, war dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Lothar Beine nicht unrecht. Konnte er doch so unmittelbar auf Vorwürfe aus Schlegelmilchs reagieren, was er auch – offensichtlich genussvoll – auch tat, bevor er mit seinem eigentlichen Statement begann.

Karl Sasserath (Grüne), Dr. Jansen-Winkeln (FDP), Bernd Püllen (FWG) und Helmut Schaper (DIE LINKE) folgten – schön der Fraktionsstärke nach.

Gefühlte zweieinhalb Stunden und und über 50 Redemanuskript-Seiten später mussten sich dann die Ratsmitglieder in einer Pause „erholen“, um für die Abhandlung der restlichen Tagesordnungspunkte gestärkt zu sein.

Ob solche „Schaufenster-Haushaltsreden“ noch zeitgemäß sind, darf angezweifelt werden. Dienen sie doch – wie auch gestern wieder festzustellen war – eher der Ego-Befriedigung Einzelner als der Erhellung der Anwesenden.

Ganz zu schweigen davon, dass auch nur ein Satz einer Rede dazu führen könnte, dass die anschließende Abstimmung anders verlaufen würde, als erwartet: Die „Ampel“ dafür, die anderen dagegen.

Zudem wurden die Redetexte vorher verteilt, so dass – falls überhaupt Interesse bestand – die Ratsmitglieder verfolgen konnten, an welcher Stelle der jeweilige Redner von seinem Manuskript abweicht. Hoch interessant!

Wie gering das Interesse an den Reden war, konnte man daran feststellen, dass einzelne Ratsmitglieder, die – aus welchen Gründen auch immer – teilweise fast eine halbe Stunde zu spät kamen, unhöflich und teilweise respektlos beispielsweise während der Rede von Lothar Beine Bemerkungen hineinriefen.

Obwohl sie wegen ihres Zuspätkommens den Hinweis von OB Norbert Bude, dass die Reden ohne Diskussion gehalten und anschließend über den Haushalt abgestimmt würde, nicht gehört hatten, hätten sie das aus der Vergangenheit noch wissen können. Lange genug sind sie schon im Rat.

Einer der beiden Zuspätkommer und Zwischenrufer hatte zudem auf seinen angestammten Platz verzichtet und sich auf einen Platz in der letzte CDU-Reihe zurückgezogen. Vielleicht deshalb, um möglichst unbeobachtet – heftig auf den Tasten seines Netbooks tippend – seinen Geschäften nachzugehen, statt mindestens höflich zuzuhören.

Schlussfolgerung: Haushaltsreden verbreiten Langeweile, sind ohne Nutzen, sind Zeitfresser und haben nur das Ziel, mal in der Öffentlichkeit etwas zum Haushalt gesagt zu haben.

Dass die „Öffentlichkeit“ aus vielleicht einem Dutzend Zuhörern auf der Tribüne und den Pressevertretern besteht, wird dabei schlicht ignoriert.

Nützlicher und sicherlich attraktiver und transparenter wäre es, wenn die Reden weitgehend frei vorgetragen würden, statt sie abzulesen.

Natürlich ist das nicht jedermanns Sache, aber wenn man von Inhalten überzeugt ist, dann müssten bei „gestandenen“ Politikern Stichwort-Manuskripte reichen, um den Faden nicht zu verlieren.

Reden während der Ratssitzung aufzuzeichnen und dann beispielsweise auf der Internetseite der Stadt und/oder den Seiten der Fraktionen zu veröffentlichen ist technisch problemlos machbar – man muss es nur wollen!

Kein Argument dürfte sein, dass die Presse mit Schriftlichem bedient werden will.

Aber, so ist das nun mal mit Bräuchen und Ritualen: Es ist leichter, daran festzuhalten („das haben wir immer schon – oder noch nie – so gemacht“) als sich Gedanken über den wirklichen Nutzen vorgelesener Reden zu machen.

Fazit: Entweder attraktive, freie Reden zum Nach- und Reinhören, oder Verteilen von Statements als Text ohne „Vorlesestunde“!

Sollte jemand die Haushaltsreden nicht „mit-erlitten“ haben, können diese hier nach Klick auf den jeweiligen Namen nachgelesen werden (in der Reihenfolge der „Auftritte“):

logo-cdu3.jpg   Dr. Hans Peter Schlegelmilch
logo-spd3.jpg   Lothar Beine
logo-gruene1.jpg   Karl Sasserath
logo-fdp2.jpg   Dr. Anno Jansen-Winkeln
logo-fwg.jpg   Bernd Püllen (PDF-Datei fehlt noch)
logo-die-linke1.jpg   Helmut Schaper

Viel interessanter und „nachhaltiger“ wird es jedoch sein, die Entwicklung einzelner Inhalte kritisch zu beobachten; darin sieht BZMG eine ihre Aufgaben in nächster Zeit.

2 Kommentare zu “Haushaltsreden: Ritual vs. Sinnhaftigkeit”
  1. Bei der ganzen Rederei hab ich das Gefühl, dass sowieso keiner mehr den Haushalt im Griff bekommt oder bekommen will.

    Auf den Punkt kommt auch keiner, weil es keinen klaren Punkt gibt. Das ist das Theater, von denen die Politiker was verstehen, für das ich aber kein Geld zahlen möchte.

    Lernten wir noch früher sparen, sind heute Schulden völlig normal – ob Privatmann, Stadt oder Regierung. Das ist doch eine einzige riesige Schuldenblase, die irgendwann mal platzen muss (was ich hoffentlich nicht mehr erlebe).

    Ich kann auch nicht begreifen, dass mit unserem Geld Staatsbanken arbeiten, die Regierung aber dann teuer Geld von Privatbanken leihen muss.

    Das einzig vernünftige von der Ampel ist, den Soli einfach nicht mehr zu zahlen und es auf eine Klage ankommen zu lassen.

  2. endlich mal in aller ruhe ohne redezeitbeschänkug drauf los quatschen können, hat doch was.

    und wenn man dann anschließend auch noch nicht einmal über die ergüsse diskutieren muss, die man von sich gelassen hat: einfach nur tolllllll!

    wenn auch die aufzeichnung schon eine interessante veröffentlichungsvariante wäre, welcher bürger tut sich das (selbst zuhause im sessel) eigentlich an?

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