Fukushima drei Jahre danach • Demonstration gegen das Vergessen in Jülich [mit Slideshow]

Red. Natur, Umwelt & Energie [ - Uhr]

Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen aus dem Münsterland, Ostwestfalen und Mönchengladbach hatten ihre Teilnahme in Jülich für den 08.03.2014 angekündigt. Der „Strahlenzug“ aus Mönchengladbach und die „Montagsspaziergänger“ aus Wegberg waren mit einem eigenen Bus nach Jülich gekommen.

Anwesend waren auch einige Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, den Piraten, Bundestagsabgeordnete wie Oliver Krischer (Grüne), Andrey Hunko, Hubertus Zedebel (beide DIE LINKE) und die Landtagsabgeordnete Gudrun Zentis von den Grünen NRW.

Sie alle kamen unter dem Motto und mit derselben Forderung zusammen: „Fukushima überall? Stoppt den Wahnsinn!“.

Ein Fahrradkorso mit rd. 100 Personen um das Forschungszentrum Jülich war der Auftakt zu der Demonstration, die anlässlich des dritten Jahrestages der Reaktorkatastrophe von Fukushima Daiichi in Jülich stattfand.

Ab 13.00 trafen sich die Demonstranten, deren Zahl auf rd. 500 geschätzt wurde, mit den radelnden Demonstranten auf dem Walramplatz zu einer Kundgebung, die mit einer Schweigeminute begann und deren Hauptredner Tomoyuki Takada war.

Er berichtete über die Situation in Japan drei Jahre nach dem schrecklichen Unglück, das bis heute nicht beherrscht wird.

Jülich wurde gewählt, weil dort 152 Castoren mit 290.000 hochradioaktiven Brennelementekugeln lagern. Ebenfalls vor drei Jahren erregte deutschlandweit die Tatsache Aufmerksamkeit, dass 2.285 dieser Kugeln „vermisst“ wurden.

Aber nicht nur dies war Grund für die Wahl des Demonstrationsortes. In Jülich steht der seit 1988 stillgelegte Hochtemperaturreaktor (HTR) der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich (AVR). Auch Kugelreaktor genannt.

1978 kam es bei diesem zu einem Fast-GAU (Größter anzunehmender Unfall), dessen Auslöser erst nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 verstanden wurde und deshalb 1988 zur Abschaltung führte.

Der HTR, dessen Betriebszeit mit einer Serie an Störfällen aufwarten kann, wartet auf seinen Rückbau, von dem niemand, auf Grund seiner hohen Kontamination, aktuell weiß, wann das sein wird, denn zunächst muss die Strahlung abgeklungen sein. Das kann in 30 oder sogar erst 100 Jahren der Fall sein. 2009 wurde der HTR mit Beton umhüllt, um radioaktiv hoch kontaminierte Graphitstaubteilchen zu fixieren und den Behälter zu stabilisieren.

Einen Rückbau zur „grünen Wiese“, wie immer wieder gerne, zumindest von Kernkraftbefürwortern voller Optimismus verbreitet, wird wohl unseren Kindern und vor allem Enkelkindern überlassen. Ein strahlendes Erbe, das bereits zweihundert Millionen Euro verschlungen hat und dessen Teilrückbau voraussichtlich weitere 600 Millionen Euro oder mehr kosten wird.

1988 waren noch optimistische 39 Millionen DM zugrunde gelegt worden, die ziemlich genau der Rücklage der Betreiber für die Entsorgung entsprachen.

Eine traurige Parallele zu Fukushima gibt es auch in der Region um Jülich, die allerdings vom Forschungszentrum Jülich (FZJ) und anderen Behörden rigoros bestritten wird, wie aktuell eine Zunahme von Schilddrüsenerkrankungen bei Kindern in der Präfektur Fukushima.

Es kam 1990 in Titz und Niederzier zu einem signifikanten Anstieg von Leukämieerkrankungen bei Kindern. Nach Aufarbeitung der Wassereinbruchstörfälle im HTR mit unkontrollierten, radioaktiven Tritiumemissionen in das Grundwasser, kann ein Zusammenhang mit diesen Erkrankungen nicht mehr ganz ausgeschlossen werden.

Die Gefahr, die durch Strahlung ausgeht hatte auch ein Auszug aus einem Bericht zum Thema, den eine 16-jährige Japanerin namens Mina schrieb, der in Jülich verlesen wurde. Mina ist die Tochter von Yukiko Sato, einer Mutter von fünf Kindern, die bis zu dem schrecklichen AKW-Unfall mehr als 30 Jahre einen eigenen Biohof betrieb.

Zwei Tage nach dem Unfall schickte sie ihre Kinder in die Nachbarpräfektur Yamagata, wo diese zunächst einige Monate alleine lebten, weil Yukiko Sato sich in der „Initiative zum Schutz der Kinder in Fukushima und Umgebung vor radioaktiver Strahlung“ engagierte und gebraucht wurde.

Mina ist inzwischen Highschool-Schülerin und lebt in einem Internat in der Präfektur Yamagata.

Ihr bewegender Bericht steht hier als PDF zum Download zur Verfügung.

Nach den Berichten aus Fukushima und Umgebung zogen die Demonstranten gemeinsam durch Jülich. Ziel war der Schlossplatz, wo die Abschlusskundgebung mit einem abwechslungsreichen Programm stattfand.

Bemerkenswert war, dass sich sowohl Rollstuhl- und Rollatorfahrer beteiligten als auch ein Aktivist, der es sich nicht nehmen ließ trotz Gehhilfen in einem sonnengelben Castorkostüm teilzunehmen.

Für die musikalische Untermalung sorgten Klaus der Geiger und Sascha, Selassikai und der Liedermacher Gerd Schinkel, der bereits bei der in den 1970ern größten Anti-AKW-Demo im Bonner Hofgarten als einziger Künstler zwischen den Rednern singen durfte. Dies verdeutlicht andererseits auch, wie lange bereits der Widerstand gegen verfehlte Energiepolitik, AKWs, die ungelöste Endlagerung und Kohlekraftwerke währt.

Jülich hat aus Sicht der Atomkraft-Kritiker im negativen Sinn noch mehr „zu bieten“. Seit langem fordern Umweltverbände und Anti-Atomkraft-Initiativen die Stilllegung von ETC (Enrichment Technology), einem Gemeinschaftsunternehmen der britischen Urenco-Gruppe, die (nicht nur) in Gronau/Westfalen eine Urananreicherungsanlage betreibt, und dem französischen Nuklearkonzern Areva, die gleichzeitig die einzigen Kunden von ETC sind. ETC ist Spezialist für Urananreicherungstechnologie wie z.B. Gaszentrifugen. Kritisch wird vor allem die Möglichkeit der militärischen Nutzung der Zentrifugen bewertet.

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Schlossplatz sprachen Marita Boslar von attac Inde/Rur (über Frauen und Umweltpolitik), Leo Tubbax (Belgien) berichtete über das viel kritisierte und als gefährlich eingestufte AKW Tihange, Dirk Banning (Niederlande) rief zum Widerstand gegen das AKW Borssele auf. Kerstin Ciesla, Vize-Landesvorsitzende des Bund NRW, erklärte, dass der Atomausstieg keiner sei und Landes- und Bundesregierung müssten beim Atomausstieg und der Energiewende endlich liefern.

Allen Rednern gemein war, dass sie alle eine sofortige Stilllegung aller Atomanlagen in NRW, Tihange und Borssele aber auch einen Stopp des Braunkohleabbaus in den deutschen Tagebauen forderten. Vor allem aber kritisierten sie, dass in Jülich nach wie vor an der Weiterentwicklung der Atomkraft gearbeitet wird und nicht, wie immer wieder gerne propagiert, Sicherheitsforschung.

Siegfried Faust vom Aktionsbündnis „Stopp Westcastor“ aus Jülich forderte von der Bundes- und Landesregierung und dem Forschungszentrum Jülich, dass sie endlich ein realisierbares Zwischenlagerungskonzept vor Ort vorlegen.

Grund dafür ist, dass die 152 in Jülich lagernden Castoren von dort in ein anderes Zwischenlager transportiert werden sollen. Von den Atomkraftgegnern wird dieser Transport auf Grund der mit ihm verbundenen Risiken und Gefahren jedoch abgelehnt.

Da die Forschung mit Kugelhaufenreaktoren immer wieder gefordert und Befürworter im Forschungszentrum Jülich unbedingt daran festhalten wollen, muss etwas dazu verdeutlicht werden.

Die in den 152 Castoren enthaltenen 290.000 Kugeln entsprechen knapp einem deutschen Tagesbedarf! Im Klartext bedeutet das, dass bei der Energieerzeugung mittels eines Kugelhaufenreaktors pro Tag (!) 152 Castoren Atommüll erzeugt würden, für die es keine Verwendung und erst recht keine Endlagermöglichkeit gibt!

Allein diese Tatsache müsste dazu führen, dass die Forschung und Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren sofort beendet wird, statt diese auch noch anderen Ländern, wie Südafrika und China verkaufen zu wollen. Das Projekt in Südafrika war 2010 nach 20 Jahren gescheitert. Gekostet hat dieses Abenteuer 1 Milliarde €, von der auch einiges an das FZJ geflossen sein soll.

Derzeit gibt es immer noch Pläne den AVR- und THTR-Müll (des THTR 300 Thorium Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop für den ca. 5 Milliarden DM nutzlos verschwendet worden sind) an Savannah River Site (militärisches Sperrgebiet) in Columbia, South Carolina, USA, zu liefern. Die Bevölkerung in South Carolina lehnt den Atommüll aus Deutschland ab. Dazu ein Auszug aus einem Brief den Tom Clements, Leiter von Savannah River Site Watch, an die Demonstranten in Jülich sandte und dazu aufforderte, das deutsche Atommüll-Problem nicht zu globalisieren:

„Savannah River ist etwa 800 km² groß. Es gibt 5 militärische Reaktoren zur Produktion von Plutonium und Tritium für Atomwaffen. Weiterhin existieren zwei Wiederaufarbeitungsanlagen auf dem Gelände, eine ist noch in Betrieb. Darin wurde das Atomwaffenmaterial abgetrennt.

Dabei entstanden 180 Millionen Liter flüssiger hochaktiver Abfälle, die in 51 großen Tanks gelagert werden. Die Tanks stammen aus den 1950’er Jahren und altern bedenklich. Der Tankinhalt wird nun, da Leckagen drohen, umgepumpt und in großen Containern verglast. Das ist keine gute Lösung, und es ist ganz wichtig für uns, dass nicht noch zusätzlicher Atommüll aus Deutschland oder von irgendwo sonst bei uns abgeladen wird.“

Das Schreiben hier als PDF zum Download.

Höhepunkt auf dem Schlossplatz war die hochinteressante, ja brisante Rede des Whistleblowers Dr. Moormann, der früher im FZJ arbeitete.

Rede von Dr. Moormann hier als PDF zum Download.

Am 01.07.2011 wurde ihm von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und der Deutschen Sektion der Juristenvereinigung IALANA („Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen“) in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften der „Whistleblower-Preis“ verliehen.

Mit diesem werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die als Insider schwer wiegende Missstände, Risiken oder Fehlentwicklungen aus ihrem beruflichen Umfeld im öffentlichen Interesse aufgedeckt haben.

Die Abschlusskundgebung endete mit den Forderungen:

  • Keine hochbrisante Verlagerung des Reaktorbehälters
  • Kein Abtransport der 152 Castoren
  • Bundes- und Landesregierung und das Forschungszentrum Jülich müssen endlich ein tragfähiges Zwischenlagerungskonzept vor Ort vorlegen

und einer Schweigeminute im Gedenken an Fukushima.

 

2 Kommentare zu “Fukushima drei Jahre danach • Demonstration gegen das Vergessen in Jülich [mit Slideshow]”
  1. Durch die Strahlung ist niemand (!) ums Leben kommen und wird es
    sehr wahrscheinlich auch künftig nicht. Selbst die am stärksten
    radioaktiv belasteten Personen der Bevölkerung haben nur rund ein
    Drittel der Strahlendosis erhalten, ab der man allmählich anfangen
    könnte, sich über einen leichten Anstieg des persönlichen
    Krebsrisikos zu sorgen.

    Dagegen haben die Evakuierungsmaßnahmen über 1.600 Menschen das Leben gekostet.

    Viele der Evakuierten leiden unter psychischen Störungen, Ängsten,
    Alkoholismus, Fettleibigkeit durch mangelnde Bewegung (Kinder). Sie
    werden von großen Teilen der übrigen Bevölkerung wie Aussätzige
    behandelt, die eine ansteckende Krankheit haben. Die Anzahl der
    Suizide ist hoch.

    Es klafft ein gewaltiges Missverhältnis zwischen den möglichen Folgen von
    Strahlung einerseits und andererseits den Folgen der Bemühungen,
    Strahlung zu vermeiden. Wenn die Menschen in Fukushima leiden, dann
    nicht an Strahlungsschäden, sondern an der Angst davor. Angst, die ihnen
    durch die unermüdlichen Anstrengungen der Antiatomlobby eingeredet
    wurde.

    Wann werden die verantwortlichen Angstschürer endlich zur Rechenschaft gezogen?

  2. Nach wie vor steht die Frage im Raum:

    Ist Atompolitik keine Angelegenheit der Kommunalpolitik?

    http://www.bz-mg.de/politik-verwaltung-parteien/mg-politik/atompolitik-keine-sache-der-ratsleute.html

    Was die Bürger vor Ort umtreibt, wovon die Bürger vor Ort und im Umland (also auch in unserer Stadt) betroffen sind, das sollte auch deren Vertreter im Stadtrat umtreiben.

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