EU-Medizin-Agentur deckt überhöhten Antibiotika-Einsatz in deutscher Tierhaltung auf

Red. Natur, Umwelt & Energie [ - Uhr]

AbL fordert: Zielsetzung des Erlasses von Keim-Obergrenzen im Koalitionsvertrag. Der AbL Niedersachsen/Bremen setzt sich für ein Verbot von Agrarfabriken und Umbauprogramm auf artgerechte, bäuerliche Tierhaltung zur Lösung von Antibiotika- und Keimresistenz-Problemen ein. 

AbL steht für Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.

Der Landesverband Niedersachsen/Bremen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht sich durch eine Untersuchung der European Medicines Agency (EMA) in seiner Forderung nach einer artgerechten und damit antibiotika-unabhängigen Nutztierhaltung mit Stroh und Auslauf in mittelständisch-bäuerlichen Strukturen bestätigt.

Der hohe und systematische Einsatz von Antibiotika zur Kaschierung unzureichender Haltungsbedingungen vor allem in großen Tierfabriken werde von der Gesellschaft nicht mehr hingenommen.

Die damit verbundene Herausbildung und Verbreitung antibiotika-resistenter Keime könne und  müsse rasch durch ein europaweites Stall-Umbauprogramm angegangen werden. Das bewiesen Länder wie Schweden, Norwegen und Finnland, die – im Gegensatz zu Deutschland – seit Jahren die EU-Vorgaben einer artgerechten Tierhaltung umsetzten und auch deshalb die geringsten Antibiotika-Zahlen pro Tier in der EU vorweisen könnten – dort beschränke sich der Antibiotika-Einsatz auf die Einzelbehandlung von wenigen kranken Tieren.

Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, lagen die Antibiotika-Verkäufe für Schlacht- und Milchtiere im Jahre 2011 (in mg je kg „behandelter Biomasse“) in Deutschland mit 211 Milligramm deutlich höher als in den meisten anderen EU-Ländern, übertroffen nur von Zypern (408 mg), Italien (370 mg) und Spanien (249 mg).

Auf den folgenden Plätzen mit immerhin deutlich niedrigerem Antibiotika-Verbrauch rangieren Intensivhaltungs-Länder wie Belgien (175 mg), Frankreich (117 mg) oder die Niederlande (114 mg).  Die niedrigsten Antibiotika-Zahlen listet die EMA in Norwegen (3,7 mg), Schweden (13,6 mg) und Finnland (23,8 mg).

Auch das Beispiel Dänemark mit immerhin 43 mg/kg wird im SpiegelArtikel „Schweinerei im Saustall“ als positives Vorbild herausgestellt und in Verbindung gebracht mit einer klaren Erfassung jedes einzelnen Antibiotika-Einsatzes je Betrieb und Tierart, der Veröffentlichung aller Betriebe mit hohem Einsatz und mit den damit verbundenen deutlichen Sanktionen.

Auch die Verschreibungspflicht und das Dispensierverbot, also des Verkaufs von Medikamenten durch die Tierärzte selber, habe zu einer deutlichen Verringerung der Antibiotika-Verabreichung geführt.

Zudem verzichteten die dänischen Veterinäre auf den Einsatz jener Antibiotika, die in der Humanmedizin wichtig seien.

Derlei Beschränkungen, so der Spiegel, gebe es in Deutschland nicht, auch die ab April 2014 geplante Novelle des Arzneimittelgesetzes enthalte keine konkreten Senkungsziele oder Sanktionen.

Thomas Blaha von der Tierärztlichen Hochschule Hannover kritisiert in diesem Zusammenhang die Antibiotika-„Hochverbraucher“, man sei in Deutschland „zu lange den leichteren Weg gegangen“. Ebenso bemängelt Theodor Mantel als Präsident der Bundestierärztekammer die Kompensation schlechter Haltungsbedingungen durch hohe Medikamentengaben.

Auch dadurch, so der Spiegel, entstünden resistente Keime, gegen die fast kein Medikament mehr wirke und die zum Beispiel eine Lungenentzündung auch für Menschen lebensbedrohlich werden lasse. Epidemiologen sähen laut Spiegel bereits ein „postantibiotisches Zeitalter“ ohne wirksame Medikamente heraufziehen.

Besondere Brisanz gewinnt all das laut AbL durch die massive Herausbildung neuartiger antibiotika-resistenter Keime nicht mehr nur in Krankenhäusern, sondern verstärkt auch in Tierhaltungsanlagen.

Das Problem stehe in einem deutlichen Zusammenhang mit unzureichenden Haltungsbedingungen und der Größe der Ställe. Der wachsende Widerstand der Anwohner und von immer mehr Bürgerinitiativen im Netzwerk „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ gründe insbesondere auch auf dieser Gefahr durch Emissionen und anderen Verbreitungswegen.

Eine Studie der Universität Utrecht habe auch in ein Kilometer Entfernung von Tierfabriken noch eine deutliche und überdurchschnittliche Häufung von Erkrankungen festgestellt.

In Deutschland gebe es zum Schutz der Anwohner zwar Grenz-Oberwerte für Geruch und Ammoniak, aber immer noch keine Grenz-Oberwerte für die Belastung der Anwohner von großen Tierfabriken durch Keime – dies gehöre in den neuen Koalitionsvertrag.

“Eine wirkliche Lösung auch dieses im Kern agrarindustriellen Problems“, so der niedersächsische AbL-Landesvorsitzende Ottmar Ilchmann, „liegt in einem raschen und EU-weiten Umbauprogramm auf eine artgerechte Tierhaltung in mittelständisch-bäuerlichen Größenordnungen mit mehr Platz, Stroh und einem zumindest beschränkten Auslauf der Tiere.“

Die EU drohe derzeit mit Vertragsstrafen, wenn Länder wie Deutschland nicht endlich die EU-Vorgaben eines Kupierverbots von Ringelschwänzen und Schnäbeln und eines Zugangs der Tiere zu Stroh einhalte.

Der noch von der alten CDU-FDP-Landesregierung erarbeitete Niedersächsische Tierschutzplan mit einem Kupierverbot bis 2016 sei wesentlich auch eine Reaktion darauf und ein Anstoß für rasche ähnliche Schritte bundes- und europaweit.

Die Beschränkungen des Bundesbaugesetzes für flächenknappe Megaställe müssten jetzt rasch auf sämtliche Tier-Agrarfabriken ausgeweitet werden.

Bisher keine Kommentare

Ihr Kommentar