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Ehrenamt ist nicht gleich Ehrenamt – oder: Der „marginalisierte“ Politiker

[1]Hallo Leute, wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, im „Hohen Haus“ der Mönchengladbacher Politik ans Rednerpult zu treten, wäre meine Rede so ausgefallen:

„Hallo Leute,
Liebe Zuhörer und innen,

also zum Jahreswechsel bekomme ich tatsächlich noch feuchte Augen, denke ich an Loddar und Anno-dazumal.

Welch besinnliche Stimmung herrschte doch bei der letzten Sitzung unseres Stadtrates vor dem Fest der Liebe.

Wie herzlich lobten sich Loddar und Anno gegenseitig für unermüdlichen Einsatz in ihrem aufopferungsvollen Ampeldasein.

Daran konnte auch ein diskussionsfreudiger, grüner Tausendsassa nichts ändern, dessen Gesprächskultur den beiden Ampelpartnern offenbar keinen Schaden zugefügt hatte – oder etwa doch?

Während sich der nämlich in seiner Haushaltsrede über das „uneigennützige, freiwillige Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, das unsere Stadt in einer fiskalisch schwierigen Zeit reich macht“, von Herzen freute [2], nutzten Loddar und Anno die Gelegenheit, sich selbst und die ihren auch mal kräftig als Ehrenamtler zu loben.

Aber was heißt hier loben?

Gut, dass meine Tränen heutzutage nicht mehr aufs Papier tropfen und Tinte verwischen können.

Ach, wie aufopfernd bis zur Selbstaufgabe sind doch unsere Stadtväter und -mütter…

Wer kann es also verdenken, dass der gute Anno seinem lieben Loddar für die vielen, traulich zusammen verbrachten Stunden dankte [3]– zumal der Gute mit ihm und Tausendsassa „mehr gemeinsame Stunden als mit manch einem seiner Familienmitglieder verbrachte“.

Möglicherweise lag es am festlich-beleuchteten Weihnachtsmarkt, vor dem Anno noch kurz vor Betreten des Rathauses inne hielt, um sich gedanklich zu sammeln, als er dann bei seiner Haushaltsrede mit verdächtig mildem Blick seinem lieben Loddar dankte, der „zum Wohle dieser Stadt ein ruhiges Rentnerleben mit einem ehrenamtlichen Vollzeitjob getauscht hat.“

Ach, wie gerne hätte auch mein Nachbar so ein unruhiges Rentnerleben.

Wer bessert nicht lieber sein Einkommen in einem Ratssaal oder zu hause Papiere und Akten schmökernd auf, statt einem Minijob beim Getränkehändler nach zu gehen?

Obwohl. der Job auch den Vorteil hat, dass mein Nachbar nicht im Altglascontainer nach Leergut stöbern muss, um nicht irgendwann zum “marginalisierten Menschen“ zu werden.

„Die Rente ist halt zum Leben zu wenig, aber zum Sterben zu viel“, meint er manchmal zu mir über’n Gartenzaun hinweg. „Aber für die Kinder muss immer Zeit sein“, sagt er dann, wenn er zum Sportplatz fährt.

Zweimal die Woche trainiert er nämlich die Mannschaft, in der sein Enkel spielt. Und natürlich noch einmal die Woche ein Spiel. „Den Sprit verdien’ ich beim Getränkehändler“, meint er. „Ist ja für die Kinder…“.

Na gut, manchmal nörgelt seine Frau, aber im Großen und Ganzen zieht die mit. „Meine Frau hat zum Glück keine großen Ansprüche. Und sparsam ist die… Also, die weiß, wo die Margarine gerade im Angebot ist…“.

Tja, mein Nachbar hat zwar halb-freiwillig ein unruhiges Rentnerleben, aber jammern, nee, jammern, hört man den nie. Höchstens mal schimpfen, meist auf die Politiker, manchmal auf die Verwaltung. Aber irgendwie gehören ja beide zusammen, nicht wahr?

Das meinte auch der Anno, als er der Verwaltung für deren Langmut dankte, wenn diese von den Vertretern der Bürger mit Fragen und Anliegen traktiert wurden.

Holla! Traktiert?

Also ich dachte eigentlich immer, dafür bekämen sie Geld. Beide.

Die Ratsleute ihre „Entschädigung“ für die aufgebrachte Zeit zum Lesen von Verwaltungsvorlagen, Denken, Anfragen und natürlich Sprit und Telefonate und so was– und die Verwaltungsleute für die Erarbeitung von Vorlagen, Beantwortung von Anfragen und natürlich für die damit verbundene Denkarbeit.

Also heißt Arbeit in Rat und Verwaltung verrichten auf einmal „traktieren“? Man lernt eben nie aus.

Mein Rentnernachbar jedenfalls meint immer nur nach seinem Besuch beim Zahnarzt, dass der ihn mal wieder traktiert habe.

Bevor nun meine andächtige Stimmung ins Wanken gerät, erinnere ich mich lieber wieder an Loddars Rede, die so salbungsvoll war, dass nur noch der Weihrauch fehlte.

Auch Loddar dankte feierlich seinen Ratskollegen (bestimmt nicht allen, nur denen, mit denen er es gut kann – aber das hat er natürlich nicht sagen können …).

Und meinte weiter:„Die Belastung insbesondere durch die Haushaltsberatungen in diesem Jahr ist mit Sicherheit für viele von uns [4]“ (o.k. ein paar Schnarchkisten hocken eben in jeder Fraktion herum, aber manche tun auch was für ihr Geld, denen kann er ja nu wirklich danken)  „an die Grenzen des Zumutbaren gegangen – manchmal sicher auch noch darüber hinaus.“

Gehen wir nicht alle manchmal über unsere Grenzen des Zumutbaren hinaus? So lange das kein Dauerzustand wird, droht ja kein burn-out.

Aber was dann kam, brachte mich wirklich fast zum Schluchzen. Ist eine PC-Tastatur eigentlich wasserfest? Ich hoffe doch sehr.

„Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen in der Stadt, aber durchaus auch die Medien, oftmals vergessen, dass die Ratstätigkeit als Ehrenamt ausgeübt wird. Neben Beruf und neben Familie.“

Verwechselt da wohl einer bürgerliches Engagement und politisches Ehrenamt?

Dann erklär’ ich das mal.

Mit dem Ehrenamt der Bürger in Vereinen, Nachbarschaft oder gemeinnützigen Einrichtungen ist das so: Ruhm und Ehre, aber kein Geld.

Das scheint auch Loddar klar zu sein, wenn er diesen Ehrenamtlern in einem Atemzug dankt: „Müssten wir diese ehrenamtliche Arbeit als Stadt bezahlen, wären wir längst pleite.“

Deshalb sei es natürlich wichtig, diese ehrenamtlichen Strukturen in der Stadt zu erhalten, was auch im Haushalt berücksichtigt worden sei, meinte er.

Damit meint er mit Sicherheit auch sein politisches Ehrenamt, denn für Loddar ist Ehrenamt ja gleich Ehrenamt.

Das mit dem Ehrenamt der Politiker ist allerdings so.

Kein Ruhm, wenig Ehre (meist nur beim gegenseitigen Schulterklopfen), aber Geld als Ratsmitglied, viel mehr als Fraktionschef und noch ganz viel mehr durch lukrative Aufsichtsratspöstchen. Im vorigen Jahr waren das für ihn immerhin fast 46.000 EURO an „Ehrenamtssold“. [5]

Wie sagte meine Omma doch immer „Et ji-ev kä grötter leed, als dä jeck sich selvs andääd.“ Für Westfalen und andere Nicht-Rheinländer: Es gibt kein größeres Leid, als das, was man sich selbst antut.

Dabei hätten sie doch die Wahl gehabt, die Loddars, Annos usw. Sie hätten sich nur nicht zur Wahl stellen müssen (wenn sie es denn überhaupt mussten).

Leider hatte mein Rentnernachbar keine Wahl, von daher hält sich mein Mitleid mit unseren „marginalisierten Ehrenamtspolitikern“ ehrlich gesagt in Grenzen.

Und nun hör’ ich sie schon wieder, die Entrüstung über „Politikerschelte“ oder „Politiker-Bashing“ von denen, die sich be-/getroffen fühlen.  

Vielleicht wäre ich ja gar nicht auf die Idee mit dem armen, „marginalisierten  Ehrenamtspolitikern“ gekommen, wäre da nicht das Tränendrüsendrücken von Loddar & Co gewesen, hätte ich nicht den Rentnernachbarn und hätte ich dann nicht auch noch über das Schicksal von Johann und Johanna [6]gelesen, was leider kein Einzelfall ist.

Danke für Eure/Ihre Aufmerksamkeit.“

 

 

Das wollt’ ich nur mal gesagt haben. Prost Neujahr… oder so!

Euer Glossi