Piratenpartei will mehr direkte Mitwirkung der Bürger – NRW-Vortragstour zu »Liquid Democracy« am 14.12.2009 in Mönchengladbach

Hauptredaktion [ - Uhr]

logo-piratenparteiDie Schweizer haben gerade gezeigt, was direkte Demokratie sein kann: Am 30. November sprachen sich 57 Prozent der Wähler gegen den Bau von Minaretten aus – eine Entscheidung, die weltweit für Aufregung und Diskussion gesorgt hat.

„Aufregung“ und „Diskussion“ bezogen sich überwiegend auf die Minarett-Frage und weniger auf die Tatsache, dass hier „das Volk“ abgestimmt hatte. Eine Diskussion über die Schweizer Art, „direkte Demokratie“ zu praktizieren fand dabei kaum statt.

Auch Deutschland kennt verschiedene Elemente direkter Demokratie.

So unterschrieben gerade 13,9 Prozent der wahlberechtigten Bayern ein Volksbegehren für einen verbesserten Nichtraucherschutz. Damit haben sie die Hürde genommen, um im nächsten Jahr durch einen Volksentscheid über die Frage zu bestimmen, ob ein striktes Rauchverbot in bayerischen Gaststätten, Bars, Kneipen, Bierzelten und Diskotheken gelten soll.

Die Initiatoren wollen damit eine Entscheidung des bayerischen Landtags revidieren, der mit seiner CSU-/FDP-Mehrheit nach der Landtagswahl 2008 das bis dahin geltende strenge Rauchverbot gelockert hatte.

Entscheidungen durch das Wahlvolk sind eine zwiespältige Sache.

Einerseits begrüßt es der Bürger, wenn er selbst über das entscheiden kann, was ihn persönlich betrifft – etwa die Frage, ob Rauchen in Gaststätten erlaubt sein soll oder nicht. Andererseits sind nicht alle Fragen einfach zu beantworten.

Wenn es aber zum Beispiel darum geht, für welche Schadstoffe in Lebensmitteln welche Grenzwerte gelten sollen oder wie sich welche Änderungen in der Steuergesetzgebung wohl auf die Volkswirtschaft auswirken werden, ist Otto Normalverbraucher rasch überfordert.

Und selbst dann, wenn er ein Experte in Lebensmittelchemie ist, kennt er sich noch lange nicht mit Wirtschaftsfragen aus – und umgekehrt.

Schließlich hat das Schweizer Beispiel gezeigt, dass Volksentscheide nicht immer das »richtige« Ergebnis liefern. Beobachter kritisieren, es handle sich beim Minarettverbot um eine Einschränkung der Religionsfreiheit.

Insgesamt sind die Schweizer die letzten Jahrhunderte über aber recht gut mit ihrer direkten Demokratie gefahren.

Befürworter der direkten Demokratie argumentieren unter anderem damit, plebiszitäre Elemente seien ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit.

Das hört sich etwa so an: In einer parlamentarischen Demokratie gibt der Wähler am Wahltag seine Stimme ab – und ist sie dann für die nächsten vier oder fünf Jahre los.

Sind die Volksvertreter erst einmal gewählt, treffen sie die Entscheidungen und bestimmen, wohin die Reise geht.

Das ist einerseits ein Vorteil, weil der einzelne Wähler nicht in allen Detailfragen kompetent ist und auch gar keine Zeit hat, sich in jedes Thema einzuarbeiten – was bei Politikern allerdings häufig nicht viel anders ist.

Andererseits gibt es unter den Bürgern durchaus Experten, die in bestimmten Sachfragen genau Bescheid wissen und sich gern in die parlamentarische Entscheidungsfindung einmischen würden.

Ein weiterer Grund für Politikverdrossenheit mag sein, dass man sich mit der Wahl einer bestimmten Partei für ein ganzes Paket an Standpunkten entscheiden muss, ohne differenzieren zu können.

Viele möchten eine bestimmte politische Grundausrichtung wählen, in Einzelfragen aber eine abweichende Meinung vertreten.

Ein Wähler, der beispielsweise grundsätzlich eine liberale und wirtschaftsorientierte Politik will, Kernkraftwerke aber ablehnt, hat keine Möglichkeit, diesen Wunsch bei einer Bundestagswahl zum Ausdruck zu bringen.

»Liquid Democracy« (»flüssige Demokratie«) ist eine Idee, die verspricht, beiden Ansprüchen gerecht zu werden.

Der Wähler kann damit bei einer Sachfrage selbst mitdiskutieren und durch eine direkte Stimmabgabe mitentscheiden. Oder er überträgt seine Stimme auf eine Gruppe oder Partei, die er für kompetent hält, ihn in dieser Frage zu vertreten.

Damit könnte jeder Bürger bei denjenigen Fragen mitreden, die ihn bewegen oder bei denen er kompetent ist, und ansonsten seine Interessenvertreter debattieren und entscheiden lassen.

Ein entscheidender Faktor ist das Internet, denn nur das Netz ermöglicht Diskussionen zwischen vielen Beteiligten an unterschiedlichen Orten. Und nur das Internet schafft die nötige Flexibilität für zeitnahe Meinungsfindungsprozesse und Abstimmungen.

Was wiederum die Frage aufwirft, wie es denn mit denjenigen steht, die das Internet nicht nutzen können oder wollen.

Oder wie man es schaffen kann, geheime, manipulationssichere und nachprüfbare Abstimmungen online durchzuführen, wenn doch sogar die in den Wahllokalen unvernetzt installierte Wahlcomputer sicherheitstechnisch fragwürdig sind.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die bisher eingesetzten Geräte mangelhaft seien.

Auch zu diesem Thema finden Sie auf  BZMG einen Artikel.

Das Gericht fordert, der Wähler müsse die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüfen können.

Das sind Herausforderungen, an denen sich technische Lösungen für Liquid Democracy messen lassen müssen.

Ob Liquid Democracy eine Antwort gibt, zumindest ist sie ein vielversprechendes Experiment. „Dieses Konzept erfordert unbedingt Tests im realen Einsatz, und die Piratenpartei dürfte dafür offen sein, es einmal auszuprobieren“, schätzt Landespressesprecher Rainer Klute der Piratenpartei die Stimmungslage seiner Partei ein, „wenn wir Erfahrung damit haben und die Tests erfolgreich sind, kann man Liquid Democracy irgendwann vielleicht auch in der großen Politik einsetzen.«

Die Piratenpartei lädt alle Bürger, die sich für das Thema direkte Demokratie interessieren und mehr wissen wollen, herzlich ein. Der Eintritt ist frei.

Montag, 14. Dezember, 20:00 Uhr: Mönchengladbach, Geneickener Bahnhof, Otto-Saffran-Str. 102
Weitere Dezember-Termine stehen in Münster, Bonn und Dortmund an.

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