Hildegard Wester: Wahlrechtsreform darf Koalition nicht gefährden

Hauptredaktion [ - Uhr]

paragraphen-thb1Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 03.07.2008, dass die Regelung zu Überhangmandaten im deutschen Wahlrecht nicht verfassungsgemäß ist. Überhangmandate werden einer Partei gewährt, wenn sie mehr Wahlkreise mit der Erststimme gewonnen hat, als ihr prozentual gemäß der Zweitstimme zustehen.

Der Gesetzgeber wurde vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert das das Wahlrecht in diesem Punkt zu ändern. Dafür wurde eine Frist bis 2011 gewährt.

Die SPD hatte vormals bereits einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, dem die CDU/CSU-Fraktion jedoch ihre Zustimmung verweigerte. Der Antrag wurde somit nicht ins Plenum eingebracht, weil aufgrund des Koalitionsvertrages nur ein gemeinsames Handeln der Koalitionspartner möglich ist.

Nunmehr wurde das Thema auf die Tagesordnung gesetzt durch einen von der Fraktion der Grünen eingebrachten Gesetzesentwurf, der fast gleichlautend mit dem der SPD ist. Dabei hat sich die SPD mehrheitlich für das Ablehnen dieses Antrags ausgesprochen, um einen Bruch der Koalition nicht herbeizuführen.

Hildegard Wester: „Schweren Herzens habe ich gegen den Antrag gestimmt. Es gibt eigentlich keine sachlichen Gründe, das Thema weiter auf die lange Bank zu schieben, da ausreichend Vorarbeit geleistet wurde. Außerdem sehe ich bei der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zu den Lissabonverträgen, dass auch eine zügige Behandlung in der Sommerpause möglich ist. Zwei Sondersitzungen sind bereits terminiert. Ich kann nur davon ausgehen, dass sich die CDU/CSU bei der anstehenden Wahl davon Vorteile verspricht. Sie sollten aber aus den Ergebnissen der letzten Wahl wissen, dass die Entscheidung am Wahltag und nicht vorher bei den Umfragen fällt. Den Wähler auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Wahlrechts wählen zu lassen ist höchst problematisch.“

4 Kommentare zu “Hildegard Wester: Wahlrechtsreform darf Koalition nicht gefährden”
  1. Die NS-Unrechtsurteilen sollte Frau Wester jetzt nicht gerade als Beispiel nehmen.

    Noch im Jahr 2002 hat rot-grün die Deserteure der Wehrmacht rehabilitiert und die jetzt anstehende Entscheidung zu den so genannten ‚Kriegsverrätern‘ ausdrücklich von der Regelung ausgenommen.

    Bis Mitte diesen Jahres gab es nur einzige Initiative dazu – und zwar von DIE LINKE. – und die wurde regelmäßig und ohne Begründung mit den Stimmen der SPD von der Tagesordnung genommen.

    Es ist schön und wichtig dass es jetzt doch noch zu einer Entscheidung kommen wird, nur Frau Wester sollte klar sein, dass es dazu nicht der Stimmen der CDU bedarf – es liegt ein Gruppenantrag vor zu dem auch andere Fraktionen ihre Zustimmung bekundet haben.

    Hier kann eine Sachentscheidung getroffen werden, die keiner Koalition bedarf – und ich bin mir sicher: auch viele Abgeordnete der CDU würden einen Koalitions-Streit/Bruch nicht auf dem Rücken der so genannten ‚Kriegsverräter‘ austragen und zustimmen.

    Gruß
    Torben

  2. Frau Wester erklärt ihre Position in einer eMail an die BZMG-Redaktion so:

    Das ist genau die Frage, die viele SPD-Abgeordnete bewegt hat.

    Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es wichtig ist, bis zum Ende der Legislaturperiode regierungsfähig zu sein, weil nie klar ist, welche Entscheidungen noch anstehen.

    Beispiel: Es wird am 8.September erst über das Lissabon-Begleitgesetz abgestimmt. Ebenso kommt noch am selben Tag das Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen zur Abstimmung.

    Hierfür habe ich mich besonders eingesetzt.

    Ich bin mir ziemlich sicher, weil beides in den letzten Tagen verhandelt wurde, dass wir die Zustimmung der CDU hierfür nicht bekommen hätten, wenn wir die Koalitionsfrage bei der Wahlrechtreform gestellt hätten.

  3. Tja, andere SPDler/innen waren da auch mutiger, Lale Akgün, Otto Schily und Wolfgang Wodarg stimmten mit ja und Ernst Kranz, Ulrich Kasparick und Dirk Becker enthielten sich.

    Auch EX-SPDler, jetzt Piratenpartei, Jörg Tauss stimmte mit ja. Bei der CDU enthielten sich Josef Göppel und Norbert Lammert.

    Also Fraktionszwang und Koalition hin oder her – wem die Demokratie was Wert ist, der/die konnte auch anders stimmen.

    Auch die genannten Gründe zur Ablehnung im Plenum sind mumpitz, es wurden rechtliche Bedenken und zeitliche Knappheit angegeben. Der Entwurf liegt seit Februar 2009 vor – da hätte alles geordnet geregelt werden können – wenn denn der Wille da gewesen wäre.

    Vor allem müssen wir festhalten, dass der Entwurf ja nur ein minimal Eingriff wäre – er beseitigt da negative Stimmengewicht und liegt nur knapp über den Minimalforderungen des BVerG vom Juli 08. Eingriffe in KandidatInnen Aufstellung, Wahlkreise, uvm. hätten nicht stattgefunden.

    Was also sind die wahren Gründe?

    Bei den größeren Parteien besteht die Chance auf Überhangmandate, und in so manchem Land ist es auch absehbar.

    Also können SPD und CDU da strategisches Geplänkel betreiben. Für NRW zwar alles eher unbedeutend, aber in vielen anderen Bundesländern könnte so manche/r WählerIn von Links dann doch die Erststimme der SPD schenken – um eben Schwarz/Gelb zu verhindern.

    Und in manchem Land werden CDU WählerInnen eben mit der Zweitstimme auf die FDP ausweichen – das stärkt nicht nur Schwarz/Gelb, sondern sogar direkt die CDU.

    Und genau diese Gedanken-/Zahlenspielereien machen es klar: SPD, CDU und FDP sind die Gewinner von der Ablehnung des Gesetzes – und so haben sie ja auch abgestimmt 🙁

  4. Ist der Erhalt der aktuellen Koalition denn so kurz vor der Bundestagswahl noch so wichtig, dass man derlei problematische Entscheidungen in Kauf nehmen sollte?

    Ich denke nicht – wichtige politische Entscheidungen, die eine stabile Koalition erfordern stehen bis zur Wahl ohnehin nicht mehr an (is ja eh Sommerpause dazwischen).

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