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Ohne Strom – und du sitzt im Abseits • Strom aus – und nichts geht mehr

[1]„Energiearmut ist und bleibt ein ernstes Thema“, sagt Johannes. Der Fachmann arbeitet im Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie.

Und er sagt auch: „Eine Strom- und Gassperre ist für die Energieversorger nur die Ultima Ratio, doch für betroffene Familien, etwa mit Kleinkindern, ist das ein absolutes Desaster.“

Energiearmut beginne aber nicht erst, wenn es zu Strom- oder Gasabschaltungen gekommen sei, immerhin hätten die Versorger 2016 rund 6,6 Millionen Haushalten in der Bundesrepublik Stromsperren bereits angedroht.

Trotzdem kam es dann im selben Jahr noch bundesweit zu mehr als 328.000 Strom-Stilllegungen, berichtet die Bundesnetz-Agentur.

Das waren im Vergleich und trotz stetig steigender Verbraucherpreise rund 31.000 weniger als 2015.

In unserer Region berichten die Lieferanten von „nahezu“ unveränderten Zahlen beim Stromabschalten.

In Krefeld, so die dortige SWK, sind jährlich knapp 3.000 Stromzähler „ohne Saft“.

Der Aachener Versorger Stawag spricht von 2.000, das wären 0,9 Prozent der gesamten Kundschaft.

Der Gladbacher Großversorger NEW nennt 3.802 Sperrungen in 2016, 2015: 4.066.

Im ersten Halbjahr 2017 waren es immerhin schon 1.761.

Wenn Erika B. auf den Lichtschalter drückt, bleibt es dunkel.

Der Kühlschrank ist für die 63-Jährige unbrauchbar, weil er nicht kühlt.

Fürs Kochen nutzt die Verkäuferin einen mit Gas betriebenen Kocher.

Im Bad muss sie Kerzen anzünden, um etwas zu sehen.

Eine TV-Sendung anschauen – geht nicht.

Am Laptop arbeiten – keine Chance.

Seit die NEW gegen B. eine Versorgungssperre verhängt hat, ist sie ohne Strom …und verzweifelt.

„Dann sitze ich im Dunkeln und frage mich, womit ich das verdient habe“, sagt sie.

Ein Einzelfall ist sie nicht. Wie so viele klagt sie über „unbezahlbar gewordene Mieten“ und „explodierende Nebenkosten“. Bei ihrem bescheidenen Einkommen als Verkäuferin könne man schnell in den Minusstrudel geraten.

Will sagen: Irgendwann packen dich die roten Zahlen auf deinem Konto.

B. habe, so betont sie mehrfach, beim Stromverbrauch nicht geaast.

Im Gegenteil, sie habe versucht, Energie zu sparen.

Dass in ihrem Fall ein falscher Zähler nach einem Umzug ausschlaggebend für die hohen Energiekosten und die folgende Sperre war, sei der Sachlichkeit wegen erwähnt.

Erika B. steht jetzt nicht mehr „unter Strom“, weil sie wieder Strom hat.

Der Caritas-Verband hat – wen wundert das Resümee – in einer Studie Anfang 2017 festgestellt, dass vor allem verschuldete Menschen, Personen in prekären Situationen, Alleinerziehende und ältere Menschen (Altersarmut) von Stromsperren betroffen sind.

Karl Sasserath (Gladbacher Arbeitslosenzentrum) kritisiert, dass beispielsweise die Sätze im Bereich der Grundsicherung für Wohnen, Energie und Instandhaltung „seit Jahren viel zu niedrig sind“.

So erhält ein Alleinlebender monatlich 35,11 Euro für den Alltagsstrom. Fachleute wie Sasserath werten diesen Umstand als gesellschaftspolitischen Skandal.

Bist du einmal in diesem Teufelskreis, ist es schwierig, da raus zu kommen. Denn andauernde Energiearmut mache krank.

Längst seien nicht nur Hartz-IV-Empfänger von Stromsperren betroffen, sondern auch viele Menschen aus der so genannten Mittelschicht.

Zwar können die Jobcenter Darlehn gewähren, wenn wegen hoher, unbeglichener Energieschulden die Abschaltung droht.

Doch hier sei das Gladbacher Jobcenter „besonders restriktiv“, berichtet ein nierenkranker Hartz-IV-Bezieher.

Man habe seine Bitte strikt abgelehnt, die Einmalhilfe per Ratenzahlung abzustottern.

Jobcenter sollen solche Überbrückungen gewähren, wenn keine grobe Fahrlässigkeit (Beispiel: extrem hohe Verbräuche) vorliegt.

Mitunter sind es die berühmten Kleinigkeiten, die Stromfresser erblassen lassen, weiß Stefan Heier von der Aktion Stromsparhelfer.

Der Mitarbeiter des Gladbacher Volksvereins kommt mit Messgeräten, sehr praktischen Ratschlägen und zeigt seinen Kunden, wo weniger mehr ist.

Das Programm Stromsparhelfer wurde gemeinsam von Kommunen und Bund initiiert.

Das Land NRW hat die Initiative „NRW bekämpft Energiearmut“ aufgelegt.

Und dies mit Erfolg, urteilt Ursula Winbeck von der Verbraucherzentrale Mönchengladbach an der Bahnhofstraße 21.

Am gemeinsamen Tisch werden Betroffene wie Ratsuchende im Gespräch mit Verbraucherschützern und Energieversorgern (sie tragen einen Teil der Kosten) informiert und beraten.

„In zahlreichen Fällen“ habe man so eine Sperre aufheben bzw. vermeiden können.

Auch Sasserath lobt dieses Angebot, weil es sehr praxisorientiert sei.

Dass Stromlieferanten die missliche Lage tausender klammer Kunden kaltschnäuzig ausnutzen, zeigt dieses Beispiel: Bei einer Umfrage fand die Verbraucherzentrale heraus, dass die „Lekker Energie“, eine Tochter des Krefelder Versorgungsbetriebs SWK, in Heinsberg für das Sperren und Entsperren bzw. für Mahngebühren sage und schreibe 92,50 Euro kassiert.

Keine Wucherpreise hingegen nimmt man in Kleve: Hier waren es für die vergleichbar gleiche Leistung 12,50 Euro.