Hans Jonas • Teil IX: Düstere Aussichten einer technisch-manipulierten Gesellschaft

D. Pardon [ - Uhr]

„Wer die Musik liebt, fordert nicht die Abschaffung von Musikern.“ Eine simple, aber einleuchtende Feststellung, mit der Professor Dr. Christian Illies seine Zuhörer auf das Ende seines Vortrages am 05.09.2014 in der Hans-Jonas-Gesamtschule Neuwerk einstimmte.

Die vorgetragenen, konsequenten Gedankengänge des Philosophen Hans Jonas zeigen:

Der Mensch steht nicht nur in einer Reihe der Natur, die er nach seinen Bedürfnissen gestaltet, was zwangsläufig und fortlaufend weitere Veränderungen seiner Lebensräume, weitere Erfindungen, weiteren Einsatz von Technik nach sich ziehen muss.

Er ist und bleibt auch in einer hoch technologisierten Umwelt in einer Kette mit anderen Lebewesen und Organismen unauflösbar verbunden.

Dank des Bewusstseins der eigenen Endlichkeit und der Fähigkeit zur Reflexion ist der Mensch in der Lage, Werte zu erkennen – materielle und immaterielle.

Für Hans Jonas ist diese Fähigkeit zu Werten selbst ein Wert.

Wer Werte setzt, weiß was wertvoll ist.

Wer achtet, weiß zu achten.

Wer die Musik liebt, weiß um den Wert der Musiker. Kein Musikliebhaber würde daher Musiker abschaffen.

Die Frage ist also: Was achtet, was wertschätzt, was liebt der Mensch? Eine allgemeine, aber auch sehr individuelle Frage.

Technik wird ohne Frage wert geschätzt. Als biologisches Mängelwesen sicherten Werkzeuge und technische Raffinesse schließlich das Überleben der Menschheit. Überleben Dank Verstand…

Ackerbau, Verbesserung der Landwirtschaft, steigende Erträge führten zu Bevölkerungszunahme und Städtewachstum, zu weiteren Problemen und weiterem Lösungsdruck, zu neuer Technik und sich dynamisch verändernden Lebensräumen.

Doch der Erfindergeist des Menschen sicherte nicht nur das Überleben, er erleichterte und erleichtert es auch. Dadurch entstanden – und entstehen – weitere Bedürfnisse, von denen viele wiederum rein technischer Art sind.

Technik sichert auch heute noch das Überleben, dies wird gerade in extremen Lebensbedingungen erkennbar. Man denke nur an eine Intensivstation, an die Bewältigung des Alltags schwer behinderter Menschen, aber auch an das Leben in menschen-feindlichen Lebensräumen. Sie weckt allerdings auch Bedürfnisse, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind. Warum freiwillig auf Bequemlichkeiten verzichten? Ohne Zwang?

Technik erschafft ihre eigenen Bedürfnisse. Das gehört ebenso zum Wesen der Technik, wie die Tatsache, dass Technik kein natürliches Ende hat.

Technik verändert den Menschen, manipuliert ihn. Werbebotschaften beeinflussen, wecken Wünsche. Jeder Mensch ist hierfür empfänglich; dies gilt auch für Menschen, die unsere Gesellschaft maßgeblich beeinflussen, diese mit bestimmen und gestalten, wie Politiker, Journalisten, einflussreiche Unternehmer, Ethiker, Wissenschaftler.

Technik ist auch ein Zeichen unbegrenzten Gestaltungswillens. Diese Freiheit scheint keine innere Grenze zu haben, so wie Technik in sich grenzenlos ist.

Technik kennt keine Rücksicht auf die Grenzen der natürlichen Belastbarkeit.

Diese Entwicklung zur Technisierung des Menschen hat kein Leitbild.

Der Ausblick für die Menschheit ist an dieser Stelle düster: Der Mensch verliert sein Vermögen zu erkennen, dass er verzichten muss, denn Technik ist grenzenlos, manipuliert Menschen, bietet keine Orientierung.

Hoffnungsvolle Fortsetzung in Teil X

3 Kommentare zu “Hans Jonas • Teil IX: Düstere Aussichten einer technisch-manipulierten Gesellschaft”
  1. @ Ypsilon

    Ich teile viele ihrer Befürchtungen. Ich vermute, der eigentliche Dissenz liegt im Vertrauen in den Menschen. Sie erwähnen eine notwenige Entschleunigung, aber es geht ihnen bei der Bekämpfung der „erkannten Problemen“ viel zu langsam. (In Anführungszeichen, weil manche auch dieses anders sehen).

    Ich bin mir sicher die Menschheit entwickelt sich voran, langsam, mühevoll, auch mit schrecklichen Rückschritten, aber auch immer wieder mit Fortschritten auch in der Humanität. Eine „düstere Zukunft“ sehe ich nicht. Vielmehr schlechtere und bessere Phasen. Aber das war auch schon immer so.

    Ich danke Ihnen aber für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, um mir den Standpunkt zu erläutern.

  2. @ Sonnenblume

    „Es ist legitim technische Entwicklungen kritisch zu begleiten. Aber was soll eigentlich das alternative Leitbild sein?“

    Was das alternative Leitbild sein soll? Dass der Mensch wieder im Mittelpunkt steht und nicht die „alternativlose“ Machbarkeit von allem und jedem und Profitdenken.

    Damit meine ich nicht das Profitdenken der Sozialen Marktwirtschaft, sondern vor allem das Neoliberale, das seit fast drei Jahrzehnten immer massiver praktiziert wird, und uns dahin gebracht hat, wo wir nun stehen.

    Das Ergebnis ist überall zu besichtigen. Haben sich schon alle daran gewöhnt und merken es nicht einmal mehr? Dann hat es ja prächtig funktioniert. Umverteilung von Fleißig nach Reich (10% der Bevölkerung Deutschlands besitzen inzwischen mehr asl 60% des Vermögens). Dabei wurden die Frösche bei diesem Prozess gar nicht so langsam gekocht. Die Einschnitte waren und sind hart und massiv.

    Dass der Mensch nicht mit der Technik mithalten kann, sondern für diese zu langsam ist, dürfte unstrittig sein. Ein Beispiel sind E-Mails, Kommunikationsmittel überhaupt.

    Binnen kurzem kann man 100 E-Mails und mehr erhalten – deshalb kann man sie noch längst nicht in derselben Zeit abarbeiten. Das genau ist aber das Problem. Die Technik wird nicht nur zum Helfer (was sie auch ist), sondern auch zum Stresser, weil der Mensch niemals mithalten kann.

    Genau das wird aber heute verlangt. Es muss, dank Technik, alles schneller, besser und vor allem trotzdem fehlerlos gehen. Wenn so viele technische/elektronische Helferlein vorhanden sind, muss die Arbeit doch ein Klacks sein! Oder doch nicht?

    Mensch und Technik im Vergleich funktioniert nicht. Der Mensch wird unterliegen.

    Deshalb wäre eine Entschleunigung dringend erforderlich. Diese wird es aber nicht geben, weil die Produktivität (und damit einhergehend die Profite) ständig gesteigert werden soll, ja muss. Das ist wichtig für das Wachstum, das für „die Wirtschaft“ (wer ist das eigentlich konkret?) unendlich zu sein scheint, bzw. unendlich (so wird es praktiziert) gefordert wird.

    Das bedingt auch die Frage danach, wem dieses Wachstum überhaupt dient/nutzt.

    Wachstum ist das Goldene Kalb. Das ist das Problem. Ohne mehr Technik keine Produktivitätssteigerung und ohne diese kein weiteres Wachstum. Eigenartig daran: trotzdem bleiben immer mehr Menschen auf der Strecke, werden einfach abgehängt.

    Du kannst nicht mithalten? Kein Problem andere können es! Du bist austausch- und ersetzbar. Das verursacht Angst. Das macht die Menschen krank. Physisch und psychisch.

    Betriebswirtschaftler und Volkswirtschaftler oder Ökonomen haben diesbezüglich verschiedene Ansätze. Leider haben sich die Betriebswirtschaftler, Neolibrealen und Konzerne mit freundlicher Unterstützung der Politik durchgesetzt. Milton Friedman lässt grüßen.

    Genau darin liegt das Problem.

    Warum glauben Sie, dass wir dank Technik immer mehr geworden sind? Oder meinen Sie damit die medizinischen Fortschritte und bessere Ernährung (obwohl immer noch Millionen an Hunger sterben müssen – aus den verschiedensten Gründen)?

    Aktuell geht man davon aus (mittlere Wachstumsprognose des UN/DESA – United Nations/ Department of Economic and Social Affairs), dass die Geburtenziffer von weltweit 2,6 Kindern je Frau auf 2 bis zum Jahr 2050 sinken wird. Mehr Bildung würde diesen Prozess sicher noch unterstützen.

    Wobei sich die Fachleute nicht einigen können, da einige behaupten, dass schon aktuell 12 Milliarden Menschen problemlos ernährt werden könnten und andere wiederum das Gegenteil . Oft auch eine Frage, wer eine Studie in Auftrag gibt und welches Ergebnis erwünscht ist.

    Dieser Aussage aus dem Artikel, Zitat:

    „Technik kennt keine Rücksicht auf die Grenzen der natürlichen Belastbarkeit.

    Diese Entwicklung zur Technisierung des Menschen hat kein Leitbild.

    Der Ausblick für die Menschheit ist an dieser Stelle düster: Der Mensch verliert sein Vermögen zu erkennen, dass er verzichten muss, denn Technik ist grenzenlos, manipuliert Menschen, bietet keine Orientierung.“

    kann ich nur zustimmen. Es ist an der Zeit, dass sich die Arbeitswelt auf kurze Sicht wieder etwas mehr auf humanistische Werte besinnt (und umsetzt!) und langfristig zunächst diese in den Mittelpunkt stellt und nicht nur Profit und Shareholder Value.

    Denn noch geht es nicht ohne Menschen. Ob sie jemals komplett durch Technik ersetzt werden können? Wer wagt schon diese Prognose.

    Was bleibt in einer vollkommen technisierten Welt noch für den Menschen übrig? Wovon können/sollen Menschen ohne Arbeit leben? Bei dem aktuellen „Geschäftsmodell“ des ewigen Wachstums unserer Welt vollkommen unmöglich. Wozu technisch aufrüsten, wenn keiner die so produzierten Güter mehr kaufen kann? Wachstum lebt vom Absatz/Verkauf von Gütern und Leistungen. Woran wollen dann die, die Güter und Leistungen herstellen noch leben?

    Unendliche aber auch hochinteressante Fragen.

    Wie Professor Dr. Christian Illies sehr richtig feststellte: „Wer die Musik liebt, fordert nicht die Abschaffung von Musikern.“ Eine simple, aber einleuchtende Feststellung, mit der eine Zuhörer auf das Ende seines Vortrages am 05.09.2014 in der Hans-Jonas-Gesamtschule Neuwerk einstimmte.

  3. „Der Mensch verliert sein Vermögen zu erkennen, dass er verzichten muss“

    Also ich sehe eigentlich sehr viele Menschen die tagtäglich verzichten müssen. Auf notwendige und auch nicht-notwendige Dinge.

    Es stellt sich wieder die Frage, wer entscheidet was notwendig ist? Worauf müssen wir (noch) verzichten? Und vorallem wer muss verzichten?

    Technik ist nicht gut oder böse. Menschen müssen Technik nach ihren Bedürfnissen gestalten. Das passiert, ständig.

    Die Bedürfnisse müssen uns nicht immer gefallen, aber wer hat das Recht nun wieder darüber zu entscheiden?

    „Technik kennt keine Rücksicht auf die Grenzen der natürlichen Belastbarkeit.“

    Die Technik als Subjekt? Oder doch der Mensch?

    Der Fluch der Technik ist, das wir Menschen dadurch immer mehr geworden sind. Gleichzeitig ist das auch der Segen, denn viele Kinder sterben nicht mehr zu früh und viele haben das Glück mehr Lebenszeit zu genießen.

    Es ist legitim technische Entwicklungen kritisch zu begleiten. Aber was soll eigentlich das alternative Leitbild sein?

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