Aspekte des Wählens • Teil XX: Analyse von Landtagswahlergebnissen zeigt: Niedrige Wahlbeteiligung stärkt Erfolge „extremistischer“ Parteien NICHT! • Kollektive Wähler-Verdummung auf breiter Linie? [mit Audio]

Bernhard Wilms [ - Uhr]

Vor Wahlen fordern die Parteien die Wähler auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Aus Sicht vieler Politiker gelte es, den Einzug von ihrer Meinung nach „linksradikalen“ und „rechtsradikalen“ Parteien durch eine hohe Wahlbeteiligung zu verhindern.

So auch im Rahmen des Landtagswahlkampfes NRW in den letzten Wochen – und auch in Mönchengladbach.

Im Rahmen einer nicht repräsentativen Spontan-Umfrage an Wahlständen äußerten sich Kandidaten und/oder Standbesetzungen sehr unterschiedlich. Und zwar so, dass alle Äußerungen von jeder Partei hätten kommen können.

Ergebnisse zur Frage 1: Warum soll ich wählen gehen?

Zwei der sechs befragten Parteien sahen in einer niedrigen Wahlbeteiligung eine Stärkung der „Radikalen“ bzw. der „Extremen Parteien“.

In Erwartung des Einzuges der AfD in den NRW-Landtag präzisierten die Angesprochenen in Gesprächen an den Ständen, dass eine geringe Wahlbeteiligung der AfD „helfen“ würde. Andere „extreme“ Parteien seien eher von untergeordneter Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, anhand konkreter Wahlergebnisse in NRW und in Mönchengladbach den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen zu überprüfen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Behauptungen sowohl auf NRW-Ebene als auch in Mönchengladbach keine seriöse Basis haben, also offensichtlich ausschließlich auf Vermutungen oder partei- und/oder wahlstrategischen Ansätzen fußen.

Die Beteiligung der Wähler ist zwar gegenüber 2012 leicht angestiegen; von einer signifikanten Steigerung kann aber keine Rede sein.
Somit verzichteten in NRW ca. 35% auf die Ausübung ihres Wahlrechtes, in Mönchengladbach waren es im Wahlkreis 50 (Norden) über 38%, im Wahlkreis 49 (Süden) gar über 42,5%.

Damit belegte der Wahlkreis 50 im Ranking der 128 NRW-Wahlkreise Rang 104, der Wahlkreis 49 den viertletzten Platz (125).

Bei der Nicht-Beteiligung belegte der Wahlkreis 49 (Süden) also den 4. Platz hinter zwei Duisburger und einem Gelsenkirchener Wahlkreis.

Die erneut über dem Landesdurchschnitt liegende Nicht-Beteiligung von Wählern in Mönchengladbach konnte OB Hans Wilhelm Reiners (CDU) gegenüber der WDR-Lokalzeit nicht erklären.

Wie im Übrigen auch 2014, als er von nur 14,8% der Mönchengladbacher Wahlberechtigten mit einer Mehrheit von lediglich 543 Stimmen die Stichwahl gegen den damaligen Amtsinhaber Bude (SPD) gewann und im anschließenden Interview das sagte:

[audio:14-06-15-reiners.mp3]

Im Juli 2009 hatte Reiners‘ Vorgänger Norbert Bude einen Verein mit dem vielversprechenden Namen „Aktiv für MG“ ins Leben gerufen, der sich mit Wahlaufrufen, Plakaten, Vorträgen und Patenschaften für eine höhere Wahlbeteiligung einsetzen wollte.

Offensichtlich wegen Erfolglosigkeit haben die damals 17 Gründungs­mitglieder – unter ihnen seinerzeit vermeintliche Prominente – sang- und klanglos ihre Aktivitäten eingestellt.

Von diesem Verein wurde seit Jahren nichts mehr vernommen, so dass angenommen werden darf, dass es ihn auch nicht mehr gibt.

Wie die Zahlen aus NRW belegen steht der Erfolg der AfD in keinem Zusammenhang mit einer hohen „Wahlmüdigkeit“.

Diese Feststellung trifft auch auf die Landtagswahl in Mönchengladbach zu.

Sowohl auf der Datenebene der Mönchengladbacher „Wahlbezirke“ als auch der „Stimmbezirke/Wahllokale“ ist ein derartiger Zusammenhang nicht im Ansatz erkennbar.

Diese Auswertungen belegen, wie sehr Kandidaten und die sie (unter-)stützenden Parteien mit ihrer an Populismus grenzenden Arithmetik „Weniger Wähler = mehr Stimmen für Extreme“ die Wähler hinters Licht führen.

Unterlegene Parteien sollten sich zukünftig mehr darauf konzentrieren, ihre eigenen Inhalte argumentativ gegen die „ungeliebten“ Mitbewerber zu setzen und nicht kategorisch, ja dogmatisch die Auseinandersetzung zu scheuen.

Die nächste Möglichkeit die politischen Vorstellungen zu entzaubern, bietet sich ihnen im Wahlkampf zur Bundestagswahl am 24.09.2017, also in 128 Tagen.

Veranstalter von Diskussionsrunden zur Bundestagswahl 2017 sollten sich nicht an der „Ausschließeritis“ beteiligen und damit interessierten Teilnehmern durch Vorauswahl der Podiumsteilnehmer die Möglichkeit nehmen, sich selbst ein Bild von allen Kandidaten zu machen.

Gleiches gilt für Organisationen und Institutionen, die mit durchaus in ihrem „Nutzen“ für Wähler zu hinterfragenden Fragenkatalogen oder „Wahlprüfsteinen“ operieren und sich dabei ausschließlich auf die Parteien fokussieren, die schon im Parlament vertreten sind.

5 Kommentare zu “
Aspekte des Wählens • Teil XX: Analyse von Landtagswahlergebnissen zeigt: Niedrige Wahlbeteiligung stärkt Erfolge „extremistischer“ Parteien NICHT! • Kollektive Wähler-Verdummung auf breiter Linie? [mit Audio]”
  1. @ Ypsilon

    Mich ärgert, dass die FDP wieder Studiengebühren einführen will.

    Noch sind wir nicht betroffen, aber Kinder werden schnell groß.

    Das Portemonnaie bekommt dabei die Magersucht. Wenn man alles allein stemmen muss. Sind doch nicht nur Studiengebühren! Die jungen Leute brauchen ein Dach überm Kopf und wenigstens eine Grundausstattung mit dem Nötigsten. Da ist man dann einige Tausender los. Monatlich kostet ein Studium schnell 800 €. Ohne Studiengebühren. Wenn die Mieten weiter so steigen, wird ein Studium schnell zum Problem.

    Was passiert mit Kindern aus wirklich armen Familien, die es nun mal gibt? Bafög ist auch keine wirklich gute Lösung, weil dann schon mit Schulden ins Berufsleben gestartet werden muss.

    Es wird immer behauptet Fachkräfte und Akademiker will und braucht das Land.

    Hat Herr Lindner auch Studiengebühren bezahlt?

  2. Wer die Thematik zu den hilfreichen Kommentaren hier noch vertiefen möchte, dem sei (falls noch nicht bekannt) das nachfolgend aufgeführte Buch ans Herz gelegt:

    Hans Herbert von Arnim

    Die Deutschlandakte

    Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun

    „Öffentlich beschwören sie das Gemeinwohl, tatsächlich aber haben sie nur das eigene Wohl im Sinn. Parteienpatronage, Gleichschaltung der Medien, politische Einflussnahme auf Justiz, Wissenschaft und Großunternehmen sowie Korruption gehören zum alltäglichen Geschäft.“
    – usw.

    https://www.youtube.com/watch?v=N36sM-XtyK4

  3. Nicht-zur-Wahl gehen stellt Herrn Reiners vor ein Rätsel? Sowas kann nur ein Politiker zum Besten geben.

    Enthaltung als „Wahlmittel“ und Statement in Reiners Variante? Klares Nein.

    Allein das Gerede von Demokratie im Zusammenhang mit dem Wahlsystem, das auf der sogenannten repräsentativen (Parteien-)Demokratie basiert, ist schon ein echter Witz.

    Ob Enthaltung als Kategorie auf dem Wahlzettel oder entwerteter Wahlzettel – damit geschieht gar nichts. Wirkung verpufft, denn die Politik will nur Wahlbeteiligung als Legitimation für ein angeblich demokratisches System und Parteienfinanzierung. Reiner Selbstzweck und -erhalt.

    Warum muss man seine Stimme abgeben und mir wird dann suggeriert, dass ich ein braver Bürger bin, der dann auch vielleicht mal Kritik üben darf?

    Warum sollte ich meine Stimme nicht behalten dürfen und für mich selbst sprechen? Bin ich nur Bürger dieser Stadt/dieses Landes, wenn ich alle paar Jahre mal wählen „darf“ und nicht mal eine richtige Wahl habe?

    Bisher habe ich leider nicht erlebt, dass meine (und vieler, vieler Menschen) Anliegen, die vorher sogar noch vom Wahlprogramm her zu der gewählten Partei gepasst hätten, auch nur ansatzweise umgesetzt worden wären.

    Versprochen, gebrochen – nach JEDER Wahl dasselbe. Ob Kommune, Land, Bund – Glaubwürdigkeit gleich Null.

    Würde auch Herrn Reiners sein eigenes Interview empfehlen, damit er überlegen kann, was draus geworden ist.

    Derzeit in NRW Koalitionsverhandlungen CDU-FDP:

    Es ist doch tatsächlich ausgerechnet für die angeblich liberale FDP, die sich um die Bildung sorgt, ein Thema, ja Bedürfnis, gar koalitionsentscheidend (!!), dass STUDIENGEBÜHREN wieder eingeführt werden!!!

    Muss ich das verstehen? Elitärer, abgehobener, realitäts- und bürgerferner geht überhaupt nicht mehr!

    Für solche „Ergebnisse“ wählen gehen, damit man mir sagen kann, ich hätte es doch so gewollt? Solche Statement sind eine absolute Unverschämtheit.

    Merkt hier überhaupt noch jemand wie krank dieses sogenannte Wahlsystem ist???

  4. Danke Frau Kroll-Hartge!

    Ihre Darstellung erspart mir, nur mit anderen Worten dasselbe zu schreiben.

    Sie haben es haargenau und treffend beschrieben!

    Der Mensch/Bürger interssiert doch gar nicht, sondern seine Stimme, die er abgeben soll.

    Wer wird schon gerne zum Stimmvieh degradiert und dazu die seltsamen Behauptungen und Märchen der Politikerklasse, der es darum geht dabei zu bleiben und wiedergewählt zu werden.

    Opposition oder sogenannte Regierung?

    Egal – Dabeisein ist ALLES, weil finanziell sehr lukrativ und ein sicherer Arbeitsplatz samt Premium-Altersversorgung.

    Ehrlichkeit hat da nix zu suchen, sonst müsste sich Politik/er in Grund und Boden schämen.

    Da gibt man besser den Weltretter und uneigennützigen Philantropen.

    Macht was her.

    Politik/er hat sich schon lange von drer Lebensrealität veraschiedet.

  5. Vollkommen richtig.

    Die Androhung an den Nichtwähler er würde mit seiner Nichtwahl die radikalen Parteien stärken, erfüllt den Tatbestand der Nötigung.

    Völlig außer Acht gelassen wird dabei auch, dass die nicht radikalen Kleinparteien unter einer hohen Wahlbeteiligung ebenso leiden.

    Aber die „kleinen“ will ja auch keiner haben.

    Naher fällt noch jemanden auf, dass es auch andere Sichtweisen und Problemlösungen geben kann, als die, die uns das etablierte Agenda Setting vorsetzt.

    Ich gehöre zu den Politikern die die Entscheidung nichts zu wählen akzeptieren.

    Sätze wie man sie immer wieder hört „Dann wählen sie doch irgendwas, Hauptsache sie nehmen ihr demokratisches Recht in Anspruch“ sind dumm, aber entlarvend.

    Okay, denkt sich der Bürger, wenn es vollkommen egal ist was ich wähle, dann kann ich es auch bleiben lassen.

    Ja, und genau so ist es. Es ist egal was der Wähler wählt, es kommt immer das gleiche dabei heraus.

    Das Nichtwählen ist und bleibt eine legitime Option des Bürgers.

    Was sollte die Parteien denn sonst dazu bewegen über ihr Tun bzw. Nichtstun nachzudenken, als eine niedrige Wahlbeteiligung.

    Was sie natürlich auch nicht machen, denn es geht ja im Grunde nur um die Parteienfinanzierung, die mit jeder abgegebenen Stimme steigt.

    So ein Wahlkampf kann auch ganz schön teuer werden, in der letzte Monitor Sendung zu bestaunen:

    http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/bundestagskandidaten-100.html

    Mit basisdemokratischen Grüßen

    Doris Kroll-Hartge

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