„Dann ist die Wohnung schon weg“ • Wohnungssuchende und der Chef des Jobcenters berichten anlässlich der Mitgliederversammlung des Bündnisses für Menschenwürde und Arbeit

Herbert Baumann [ - Uhr]

Klaus Müller sieht einen steigenden Druck im Mietwohnungsmarkt. Und hier bei preiswertem Wohnraum. Gleichzeitig bemängelte er, dass die Politik die Kinderarmut „einfach ignoriert“.

Allein in Gladbach lebe jedes 3. Kind bis 14 „im Mangel“, ist auf Hartz-IV-Bezug angewiesen. Kaum beachtet werde die Not vieler Alleinerziehender.

Müller: „Wir brauchen mehr Betreuungsplätze für Kinder, um deren Sprache, Kreativität etc. zu fördern.“

Eine ungelernte Mutter, die einen Job sucht, sei damit völlig überfordert.

Sein weiterer Appell: „Mehr Gesamtschulen mit ihren Ganztagsangeboten für Mädchen und Jungen.“

Müller leitet seit Jahren das Gladbacher Jobcenter.

Der 60-Jährige sprach in der Mitgliederversammlung des regionalen Bündnisses für Menschenwürde und Arbeit.

Dieses Bündnis mit Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen befasst sich verstärkt mit der drastisch steigenden Altersarmut, mit der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt und der zunehmenden Wohnungsnot.

Und es versucht Abhilfen und Lösungen dagegen zu formulieren.

Stößt aber gerade in der Politik kaum auf Resonanz.

Wie extrem frustrierend die Suche nach einer geeigneten Wohnung ist, schilderte die alleinerziehende Biologin Angela Z.

Mit ihren zwei jugendlichen Kindern habe sie Anspruch auf eine 80 qm große Wohnung, so die seit 2008 auf Hartz-IV angewiesene Frau, die für wenig Geld in der Bibliothek der Gesamtschule Neuwerk arbeitet.

Das Jobcenter habe drei Jahre gebraucht, um den Umzug in eine größere Wohnung (80 qm) zu genehmigen.

Doch: Fast alle Vierzimmer-Wohnungen sind 90 qm und größer.

Reaktion des Fall-Managers im Jobcenter: Wir zahlen für 80, nicht für 90 qm. Z.: „Das Center übernimmt 5,11 Euro/qm Kaltmiete, bei diesem Betrag ist es utopisch, eine adäquate Wohnung zu mieten.“

Oft läge der Mietzins bei 5,60 Euro/qm bzw. höher.

Erschwerend seien lange Bearbeitungsverfahren. Hat das Jobcenter sein okay gegeben, sind oft Wochen und Monate vergangen.

„Dann ist die Wohnung längst weg.“ Viele Vermieter seien „auf das schnelle Geld aus“, die Zimmer in einem miserablen Zustand, beklagte Z.

Müller kennt solche „Fälle“ – und er bat um Verständnis.

Schließlich habe man gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. Dafür sei man nicht verantwortlich.

Das Gladbacher Jobcenter (450 Mitarbeiter) sei gehalten, Standard, Qualität usw. einer Wohnung zu prüfen, ehe es die Miete bewilligt.

Nicht selten würden Schrott-Immobilien angeboten, handele es sich sogar um Mietwucher.

Der Druck auf den schrumpfenden, preiswerten Wohnraum werde noch größer, meint Müller.

Dies habe nicht nur mit Flüchtlingen zu tun, sondern auch mit Arbeitskräften überwiegend aus Polen, Tschechien und Bulgarien. Tausende von ihnen schuften in der Logistik-Branche z.B. in  Güdderath, die meisten haben Zeitverträge, und laufen die aus, haben diese EU-Bürger Anspruch auf Sozialleistungen (Hartz-IV).

Müller sieht hier auch kriminelle Machenschaften: Schlepper, die gegen Geld ihre Landsleute in die Arbeitsverträge – teils Scheinverträge – vermitteln.

Das einzige Ziel dieser Banden sei es, die Menschen in die Grundsicherung/Sozialhilfe zu bringen. Die sei eben viel höher als z.B. in Bulgarien. 

Laut Müller sind in Gladbach über 40 000 Menschen auf Hartz-IV angewiesen, darunter 13.000 Kinder bis 14 Jahren.

Monatlich zahlt das Center Mieten für 19.000 Wohnungen, das sind etwa 100 Millionen Euro jährlich.

An Hilfen zum Lebensunterhalt kommen weitere 100 Millionen/Jahr hinzu.

In seinem Rechenschaftsbericht 2017 verweist das Bündnis auf unterschiedliche Aktionen. Beispiel Klagemauer, aufgestellt in den Innenstädten.

Passanten kleben ihre Zettel mit Wünschen, Forderungen wie „Mehr Gerechtigkeit“, „Gute Arbeit, fairer Lohn“, „Die Gier vernichtet uns“, „Mehr Respekt“ usw. an die Wand aus Pappmaché. Bündnisratsmitglieder werten sie aus, machen sie publik und diskutieren u.a. mit Verbänden und Politikern darüber.

Schwerpunkte der Aktionen lagen in Gladbach, Krefeld sowie der Städteregion Aachen.

Wiedergewählt wurden die meisten der zehn Bündnisratsmitglieder.

Renate Müller und Alex Micha verzichteten auf eine erneute Kandidatur. Versammlungsleiter Johannes Eschweiler dankte den beiden für jahrelanges Engagement.

Neu gewählt wurden Christa Dressen und Axel Rayczik.

Angespannt bleibt die Finanzsituation des Bündnisses mit seinen etwa 80 Mitgliedern. Dringend gesucht werden weitere Akteure bzw. Mitglieder.

Eschweiler: „Nach all dem, was wir hier gerade gehört haben, bleibt für uns viel Arbeit.“

 

3 Kommentare zu “
„Dann ist die Wohnung schon weg“ • Wohnungssuchende und der Chef des Jobcenters berichten anlässlich der Mitgliederversammlung des Bündnisses für Menschenwürde und Arbeit”
  1. Zum Wohnungsproblem, das Herr Müller erläutert dieser Artikel:

    In deutschen Großstädten nimmt die Gettoisierung deutlich zu

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article176605316/Neue-Studie-In-deutschen-Grossstaedten-nimmt-die-Gettoisierung-deutlich-zu.html

    Die Studie wurde von 2005 bis 2014 erhoben.

    Text daraus:

    „Der Bau von Sozialwohnungen ist indes kein Allheilmittel. Vielmehr verstärke er die Segregation. „Sozialwohnungen sind in Gebieten zu finden, in denen ohnehin die Armen wohnen“, sagte Jähnen. „Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“

    Als langfristigen Ausweg für die Kommunen empfehlen die Autoren der Studie, Neubauten in besseren Wohnlagen mit strikten Auflagen für einen Anteil von Sozialwohnungen zu versehen.

    Das Beispiel München zeige, dass trotzdem gebaut werde.“

    Zu Kindern ist schnell alles gesagt: für die wird zu wenig getan. Ob Familie oder Alleinerziehende. Es ist echt ungerecht, dass die Herkunft auch bei der Bildung immer noch das wichtigste ist.

    Seit Jahrzehnten wird drüber geschimpft. Die Politik bedauert und findet alles schecklich. Und schläft weiter. Oder ignoriert die Probleme. Keine Ahnung, wie die das wirklich sehen. Reden tun die ja anders.

    Rüsting ist wichtiger … dabei war Flinten-Uschi mal für Familie zuständig.

  2. Zu diesem Thema ist eindeutig und sehr klar die Politik gefordert!!!

    Aus dem Artikel:

    „Das einzige Ziel dieser Banden sei es, die Menschen in die Grundsicherung/Sozialhilfe zu bringen. Die sei eben viel höher als z.B. in Bulgarien.“

    Die Problematik müsste schon seeeehr laaaaange „in der Politik“ z.B. Gemeinde- und Stadträten, den Abgeordneten, die schließlich Wahlkreise haben, angekommen sein. Oder etwa nicht? Wenn nicht und danach sieht es aus, stimmt was überhaupt nicht.

    Die Betrugsmasche ist alt und „praktisch“! Nachvollziehbare Einnahmequelle, für die Banden und auch die Ausgebeuteten, die dann immer noch mehr Geld haben als in ihren Heimatländern.  Dort haben die Menschen gar nix.

    Aber: auch deutsche Unternehmen freuen sich über in fast jeder Hinsicht willige Billgarbeiter, die nicht meckern, weil diese das Geld bzw. die Arbeitszeit brauchen, um so Leistungen zu bekommen. Auch solche „Arbeitgeber“ sind Täter, denn denen kann das doch nicht verborgen bleiben! Aber die profitieren eben auch gut von diesem „System“.

    Wie soll diese Betrugsmasche auf Dauer finanziert werden? Zahlen muss das doch jemand. Am Ende der Steuerzahler, also die Bürger.

    Die Betroffenen haben nie was in deutsche Sozialkassen gezahlt. Die bekommen dann genauso viel wie Leute die hier Jahrzehnte eingezahlt haben und trotzdem in Altersarmut und bei Arbeitslosigkeit in Hartz IV landen.

    Wer mit Mitte 40 heute seine Arbeit verliert hat ein Riesenproblem. Auch Akademiker und andere gut ausgebildete Leute.

    Sowas kann auf Dauer nur zu massiver Unzufriedenheit führen. Genauso wie zu sozialen Verwerfungen.

    Was unternahm die Politik bisher dagegen und was gedenkt sie zu unternehmen?
    Reichen die aktuellen Gesetze nicht aus? Wenn ja, warum nicht und warum wurde nicht schon lange nachgebessert?

    Will die Politik überhaupt was dagegen tun? Kriegen die das überhaupt mit?

    Auf anderen Gebieten ist die Politik „konsequent“. Beispiel das unsägliche PAG (Polizeiaufgabengesetz) in Bayern, das nur minimal gändert auch in NRW eingeführt werden soll.

  3. Kinderarmut, Probleme Alleinerziehender und was es noch so alles Lästiges gibt – diese Stadt ist eine wachsende und die Politiker der GroKo können sich um solche Nebensächlichkeiten nun wirklich nicht auch noch kümmern!

    Wichtiger sind die Phantasien und Träume von 100.000 (in Worten: einhunderttausend) Neu-Gladbachern.

    https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/potenzial-fuer-weitere-100000-einwohner_aid-20907391

    Sie soll größer und schöner werden, diese Stadt – was immer Bornin samt Gattin, Schrammen, OB, Masterplaner und zum Klüngel dazu gehörende Architekten und Bauunternehmer darunter verstehen, die sich „ihre“ Stadt basteln wollen.

    Die „Seestadt“ City Ost, die hässlichen Roermonder (Klotz-) Höfe, demnächst das erweiterte Gelände um das Haus Westland, das abgerissen wird und zusätzlich wieder mal städtische Grundstücke (= Bürgervermögen/Tafelsilber) verscherbelt werden und das Maria-Hilf-Gelände sind auf jeden Fall wichtiger als alles was in diesem Artikel ausgeführt wird.

    Es werden hunderte Wohnungen gebaut – wer auch immer diese bezahlen kann und diese beziehen wird (und dafür woanders auszieht?).

    Hauptsache die Stadt „wächst“ und wird angeblich schöner.

    Das muss reichen!

    Grundsätzlich wäre gegen manches Vorhaben nichts einzuwenden, wenn dafür nicht andere auf der Strecke bleiben würden.

    Dr. Bonin war schließlich schon in Düsseldorf nicht dafür bekannt, sich um bezahlbaren Wohnraum oder gar sowas wie sozialen Wohnungsbau zu kümmern. Dort fehlen jetzt tausende bezahlbare Wohnungen.

    Das müsste auch in Mönchengladbach zu schaffen sein.

    Zitat:

    „Deutlicher wurde da schon die Düsseldorfer Fach-Politikerin Helga Leibauer (57, SPD): „So was macht man einfach nicht!

    Zumal Herr Bonin mitschuldig ist, dass wir hier Nachholbedarf bei preiswerten Wohnungen haben.

    Er war es doch, der mehr ans Luxus-Segment gedacht hat.“

    http://www.bz-mg.de/gesellschaft-menschen/aus-vereinen-und-verbanden/dann-ist-die-wohnung-schon-weg.html#sthash.Z3IJzBvN.dpbs

    Gut, dass der gute OB-Freund Dr. Bonin sich nun in Gladbach betätigen kann. Hochwertig, versteht sich!

    Mit sozialem Wohnungsbau kann man nun mal weniger Furore machen und keinen Blumentopf gewinnen.

    Das müssen die Betroffenen doch verstehen.

    … und die GroKo schaut zu.

Ihr Kommentar